Ian McEwan: „Nussschale“

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“O God, I could be bounded in a nutshell and count myself a king of infinite space – were it not that I have bad dreams”. Shakespeare (Hamlet)

Auch Stephen Hawking griff zu den Sternen mit dem Bezug zu Shakespeare. Der britische Physiker erklärt in „Das Universum in der Nussschale“ mit einfachen Modellen aktuelle Theorien. Hawkins erklärt den Blick auf das Universum aus seiner körperlich beeinträchtigten Situation. Shakespeares Zitat: „Ich könnte in einer Nussschale eingesperrt sein und mich für einen König von unermesslichem Gebiete halten“ zeigt die kleine Welt des Menschen, der sich selbst stets sehr wichtig hält. Ebenso die Erzählstimme in dem neuen Roman des britischen Erfolgsschriftstellers Ian McEwan. Am Anfang hadert man etwas, ob man alles es gut finden soll oder vom Klugscheißer im Mutterbauch genervt ist. Je mehr man in den Text eintaucht und dem nicht immer nüchternen Gedankenstrom des ungeborenen Kindes folgt, wird man gefesselt von dieser absurden und bösen Geschichte.

Der Clou der Geschichte ist nicht neu. Der Inhalt ist angelehnt an Hamlet von Shakespeare und die ungewöhnliche Perspektive des Erzählers haben schon John Irving oder Henning Schöttke angewendet. Denn die Stimme, die auf uns Leser einredet und uns fast schon penetriert, erklingt aus dem Mutterbauch. Die Perspektive eines ungeborenen Kindes, das durch genaues Zuhören und die kleinsten Veränderungen des Fruchtwassers alles aus dem Umfeld der Mutter im wahrsten Sinne aufsaugt. Durch Radio oder Podcast-Sendungen hat dieses Kind, das zwischen Sein und Nichtsein existiert, einen Wissensschatz angehäuft, für den andere fast schon mehrere Reinkarnationen erleben müssten. Durch Beschreibungen und Gespräche erlebt das Kind auch die äußere Welt und kann sich Bilder von den Menschen und z.B. deren Kleidung machen. Wobei er Begriffe und Farben verwendet, ohne diese wirklich zu kennen oder je gesehen zu haben. Wird ihm langweilig, hilft ein Tritt innwendig gegen den Mutterbauch und schon ist jene wach und schaltet zum Einschlafen erneut Sendungen an, die das Kind erfahrener machen und mit dem wachsenden Wissen auch immer sarkastischer werden lassen.

Dieser makabre Humor trägt das Buch, denn die Handlung ist kurzweilig. Der namenlose Fötus ist ein handlungsunfähiger Mitwisser eines geplanten Dramas. Sein Vater, John, ein lyrikliebender Verleger, soll ermordet werden. Die Mutter, Trudy, bei Shakespeare Gertrude, hat ein Verhältnis mit Claude (Claudius bei Shakespeare), einem burschikosen Bauunternehmer. Trudy hat ihren Mann aus der Londoner Wohnung geworfen. Er taucht aber ab und zu noch auf, um die Ehe zu retten, denn noch weiß er nichts von Trudys Ehebruch. Langsam dämmert es sogar dem Zeugen der ganzen Geschichte, dass Claude der Bruder seines Erzeugers ist und erst durch dieses Wissen möchte der Embryo eingreifen. Doch ist er mehr Nichtsein als Sein und kann wohl nur weiterhin ein Zeuge bleiben.

Auch wenn es so scheint, ist der Lyriker nicht mittellos. Die Immobilie ist millionenwert und würde durch einen Verkauf einen Wohlstand sichern, den Trudy und Claude nun anstreben. Da Claude Erfahrung mit Morden an Tieren gesammelt hat, ist schnell der Plan gereift, durch einen Giftmord, hier Frostschutzmittel, sich des Vaters zu entledigen. Der Zeuge, der eigentlich sehr an seiner Mutter hängt und mit dieser eng verbunden ist, nimmt Partei für seinen Vater ein. Doch wie soll er eingreifen? Wie kann er die Wege außerhalb seiner kleinen nussschalengroßen Welt lenken? Hinzu kommt, dass das Kind sich nicht nur ein großes Allgemeinwissen über Weltgeschehen, Literatur etc. angeeignet hat, sondern es sich in seinem kurzen Leben auch bereits große Weinkenntnisse anhören und antrinken durfte. Die Mutter trinkt gerne mehr als ihr oder dem ungeborenen Kind guttun würde. Das Baby genießt diese edlen Tropfen, die für ihn speziell und besonders degustiert wurden. So ist auch einiges von dem Erhörten alkoholgeschwängert…

Die Welt aus der Fruchtblase durch die Nabelschau großer Weltliteratur gesehen. Es ist eine Satire, eine mit schwarzem Humor durchzogene Erzählung. Anfänglich hadert man mit dem Kind, das den Vatermord stoppen oder später rächen möchte. Doch verfällt man erneut McEwan und liest gebannt weiter und gewinnt das Gör sogar etwas lieb…. Wie das Drama um den ungeborenen Zeugen sich entwickelt, sei, wie der Rest bei Shakespeare, Schweigen… oder Chaos?

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