Roger Willemsen: „Wer wir waren“

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Das schmale Buch „Wer wir waren“ ist wohl das letzte, was wir von Roger Willemsen zu lesen bekommen. Er ging mit der Idee für ein neues Buch mit diesem Titel schwanger. Es sollte ein Blick aus der Zukunft in die Vergangenheit, unsere Gegenwart sein. Der Rückblick einer kritischen Nachwelt auf unser jetziges Leben. Doch hat seine Krankheit ihm diese Idee geraubt und uns einen sympathischen klugen Menschen genommen, der mit schönen Sätzen zum Verweilen einlädt. Sätze, die uns treffsicher einen Spiegel vorhalten.

Das Büchlein beinhaltet eine Rede, eine mitreißende Zukunftsrede, die wohl den zentralen Gedanken seiner Buchidee formuliert. Es wurden drei überarbeitete Manuskripte gefunden mit handschriftlichen Marginalien. In dem vorliegenden Buch wurde die kurze Version mit den eingearbeiteten Notizen von Roger Willemsen verwendet.

Der Text liest sich trotz der Thematik nie melancholisch oder destruktiv, sondern stets mit dem klugen und typischen Schalk des Verfassers. Er beklagt, dass vieles schlechter geworden ist. Unsere Umwelt, die Manieren, die Persönlichkeiten und die Menschheit, die sich die Erde untertan gemacht hat und diese wie ein Virus besetzt. Roger Willemsen Ton ist kritisch und scharf, aber mit einer Heiterkeit, die uns sich selbst belächeln lässt.

Der Mensch als eine Goethe-Figur, die sich freut, wie weit wir es zuletzt doch gebracht haben, wird von der Faust emporgehoben „O ja, bis an die Sterne weit!“ Doch in dieser Antwort schwingt auch der Hohn. Viele haben es damals nicht für möglich gehalten, dass die Menschheit fliegen wird, in jedem Haushalt ein Computer stehen könnte und sich fast jeder ein Automobil leisten kann. Die damaligen Aussagen, die jene Zweifelnden machten, können mit dem Blick aus der heutigen Zeit belächelt werden. Doch was sagt die Menschheit in der Zukunft über unsere heutigen Errungenschaften und Denkmodelle? Die Virtualität wird immer prägnanter und gerade unsere umgangssprachlich oft gestellte Nachfrage im Gespräch „echt?“  lässt aufhorchen und stellt den Bezug zur Realität in Frage. Es sind moderne Zeiten mit modernen Kommunikationsmitteln. Aber was ist modern? Modern, damals noch zukunftsweisend, ist zum Gegenwärtigen verkommen.

Doch möchte ich nur Beispiele andeuten, denn das kleine Buch ist groß und sollte viele erreichen. Es ist lebensklug und lebensbejahend. Wir werden durch die vielen Medien überflutet, die zwar eine schnellerwerdende Welt deklarieren, die uns alle verbindet, aber gerade die Fülle an Orientierungen werden von diversen Plattformen für uns passend gefiltert. Das Buch lädt nun ein, einer zu früh verstorbenen Stimme zu lauschen und die kluge Stille im Selbst erklingen zu lassen.

„Wer wir waren“ ist ein Nachlass, eine Zukunftsrede, die überarbeitet und von Roger Willemsen bereits vorgetragen wurde. Ein Grundstein eines Buches, das nie erscheinen wird, aber dennoch im Leser hoffentlich viel anregt, anstößt und hinterlässt. Roger Willemsen spricht uns Menschen an, ohne sich dabei selbst hervorzuheben. Ein interessierter und kritischer Autor, der herausragte ohne herauszustechen.

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Ein Kommentar

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Eine Antwort zu “Roger Willemsen: „Wer wir waren“

  1. Hm also das will ich auch lesen.

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