Fabian Hischmann: „Das Umgehen der Orte“

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Fabian Hischmann zitiert am Anfang in seinem neuen Roman ein Kinderlied aus dem Film „Stand by me – Das Geheimnis eines Sommers“. In dem Film geht es um eine Gruppe von Kindern, die im Verlauf der Handlung den Schritt ins Erwachsenenleben machen müssen. Aber was passiert danach? Dieser Frage geht Hischmann nun nach. Seine Bande von Charakteren wird uns Lesern in einem Episodenroman vorgestellt. Figuren, die Tiefe bekommen, die man dann wieder aus den Augen verliert, um später woanders wieder aufzutauchen oder lediglich erwähnt zu werden. Das ganze Personal ist, so stellt es sich am Ender heraus, miteinander verwoben und erst dann steht man vor einem Mosaik aus vielen kleinen Steinchen. Eins haben die meisten Charaktere aber gemein, sie sind getrieben durch das Findenwollen. Es sind meist junge Menschen, die durch ihre Sehnsüchte, Verzweiflung und Hoffnungen sich umkreisen, Orte suchen und finden. Meist sind es Umwege und die Berührungspunkte untereinander können ganz klein und nur für den Leser ersichtlich bleiben.

Man sollte dieses Buch aufmerksam lesen, denn einige Episoden sind kurz und der Reigen an Personal nimmt zu und man blättert öfters zurück, um die Person, die man eventuell verloren meint, wieder zu finden. Fabian Hischmann war 2014 mit seinem Debütroman „Am Ende schmeissen wir mit Gold“ für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Zu diesem Buch hatte ich hier folgendes geschrieben: „Ein tragisch-komischer Text, der handwerklich sehr routiniert geschrieben ist und sich wohl schnell in den Reigen der neueren deutschen Autoren einfinden wird.“ Ich denke, dass Fabian Hischmann dies nun erneut beweisen konnte. Ein Buch, das mich hadern ließ, ob ich es wirklich beim Lesen mochte. Die Sprache ist mal kunstvoll, dann wieder alltäglich und ein wirklicher Handlungsbogen erschließt sich erst beim Beenden der Lektüre. Aber gerade beim Zuklappen des Buches wandern die Gedanken zurück und man verweilt in diversen Szenen.

Die Handlung nimmt seinen Anfang mit Lisa. Sie futtert ihren Kummer in sich hinein und befreundet sich mit Anne, dem rebellischen Nachbarsmädchen. Lisa wird wegen ihres Körperbaus gerne gehänselt. Nur Anne sieht in ihr etwas mehr. Es gesellt sich Magnus hinzu, der mit Anne die erste Liebe erlebt und gemeinsam zementieren sie die Löcher im nahe gelegenen Golfclub zu. Da Lisa nie friert, entschließt sie sich nach Island zu gehen. Ab jetzt gesellen sich immer weitere Charaktere hinzu. Die Perspektiven verändern sich und die Handlung verheddert sich immer mehr, um letztendlich auf der kalten Insel zu enden. Es sind Menschen, die man schnell verstehen lernt. Junge Leute, die u.a. in der Seehundstation arbeiten, im Kino Popcorn verkaufen oder die ganze Welt bereisen. Die Themen sind unspektakulär und dennoch lebenswichtig: Unser Miteinander, unsere Liebe, Sexualität und unsere Krisen. Ein junger Autor, der nach seinem Erfolg verstirbt. Eine Party, die Erinnerungen wachrüttelt und Menschen zusammenbringt. Doch sind die Berührungspunkte meist klein und jeder verbleibt in seinem Kosmos. Ein Lebenskonzept als Roman, in dem man auch schon mal einen Sommer verpasst. Ein Roman, der die Zeit von 2004 bis 2020 umspannt. So kommen auch bekannte Persönlichkeiten vor. Matt Damon verstirbt in naher Zukunft und Nick Cave geht mit seinem Boot, der „Henry Lee“, auf hoher See verloren. „Henry Lee“ ist eine weitere Anspielung auf einen Song. Er wurde auf dem Album „Murder Ballads“ von Nick Cave veröffentlicht. Diese Balladen sind gleich diesem Roman ein Reigen an tragischen, schönen und bizarren Geschichten.

Ein Roman, der voller Leben steckt. Teilweise geht es aber am Leben vorbei und die Charaktere umwandern ihre eigentlichen Orte. Ein Buch, das reduziert in der Sprache und Handlung einen weiten Bogen spannt, der aus vielen kleinen einzelnen Steinchen erbaut wurde. Ein realistischer Gesellschaftsroman der in die verlängerte Gegenwart schaut. Die Sehnsucht nach Zusammengehörigkeit und nicht bloß schnöde Vernetzung.

Fabian Hischmann wird eventuell eher junge Menschen, die die Literatur für sich entdecken, ansprechen. Er ist ein junger Autor, der es kunstvoll versteht, seinen Gedanken Ausdruck und Leben zu geben. Durch die etwas einfache Sprache und vulgären Ausdrücke, die als Kunstmittel eingesetzt sind, wirkt es ab und zu gekünstelt übertrieben und zielgruppengerecht eingesetzt. Aber wenn man als Leser, im Gegensatz zu den Figuren, die Übersicht behält und am Ende das Buch zuklappt, seht man erstaunt vor dem ganzen Mosaik und fühlt sich erneut in den einen oder anderen Charakter oder Handlungsstrang hinein. Dann blickt man gerne zurück und man erwischt sich beim erneuten Hin-und-Her-Blättern im Buch.

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Ein Kommentar

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Eine Antwort zu “Fabian Hischmann: „Das Umgehen der Orte“

  1. Ich kann nicht erwartet,um dieses Buch zu lesen.
    Viele Grüße
    Birgit

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