Reso Tscheischwili: „Die Himmelblauen Berge“

Reso Tscheischwili Die Himmelblauen Berge Edition Monhardt

Ein Schriftsteller möchte sein Manuskript abliefern. In dem absurden Apparat des Verlages haben alle wenig mit Büchern zu tun und so wird das Buch verlegt, zerrissen, zerfleddert und erneut aus den verschiedenen Fassungen zusammengesetzt. Da auch das Gebäude, in dem die Handlung spielt, erbebt und Risse bekommt, erinnert diese Satire, die aus dem Georgischen übersetzt wurde, an das Werk „Die Spielverderber – Commedia Infernale“ von Michael Ende. Bei Michael Ende ist es das Misstrauen einer Erbengemeinschaft, das den Untergang herbeiführt. Bei Ende taucht ein farbenblinder Butler auf, der sich als Prisma empfindet und die Erben in die Irre führt. Die Farben kehren bei Reso Tscheischwili anhand eines trostlosen Gemäldes, das aber abgehängt werden soll, und durch den Titel eines Manuskriptes in das Verlagshaus ein. Die Handlung spielt in einem großen Verlagsgebäude, in dem alle Beteiligten bemüht sind beschäftigt zu wirken. Draußen findet eine Ahnung von Leben statt: vor dem Gebäude knattern die Motoren, denn auf einem Feld wird eintöniges Motorball gespielt.

Der Schriftsteller Sosso betritt nach längerer Zeit den Verlagskomplex und möchte die dritte Fassung seines Manuskriptes abliefern. Er hat es überarbeitet, denn Inhalt und Titel gaben dem Verlag zu denken. Besonders ist dem Verlag immer der Titel wichtig: Aus Brücken wurden letztendlich Berge. So ist der jetzige Arbeitstitel „Die Himmelblauen Berge oder Tian Shan“. Sosso wird als ein Bekannter des Hauses begrüßt. Doch ausgiebig Zeit hat oder nimmt sich keiner für den Autoren. Doch wirkt man miteinander vertraut und man wechselt Nichtigkeiten aus. Sosso wirkt auf einige abgemagert, während jemand anderes an Umfang zugelegt haben soll. Sossos Manuskript wird genommen mit dem Versprechen es auch zu lesen. Niemand im Verlag zeigt verlegerische Begeisterung und ist literarisch oder künstlerisch interessiert. Nur einer, der mit dem Verlag nichts zu tun hat, wird letztendlich das Manuskript zufällig bekommen und es sogar lesen. Im Verlag wird das Manuskript verteilt. Es wird auch darüber geredet, aber niemals gelesen. Meist geht es um den Titel, von dem man sogar dachte, es wären zwei Titel, eventuell sogar zwei Werke. In den zahllosen Abteilungen, deren Aufgaben auch nicht immer ersichtlich sind, wandeln die Verlagsangestellten, der Direktor, der sich auch gerne verleugnen lässt, und ein Bürger, der beständig um einen Termin bittet. Was dieser Mann, der Bürger mit seinem Aktenkoffer, tatsächlich möchte, stößt anfänglich auf wenig Interesse der Menschen im Komplex. Überall ist geschäftiges Gerede und Gemache, aber es sind leere Worthülsen ohne Inhalte und sinnfreie Handlungen. Auch das Gebäude schüttelt sich. Der Fahrstuhl bleibt oft stecken, die Wände bekommen besorgniserregende Risse und ein unterirdisches Beben ist zu spüren.

Die Tätigkeit wird zur Untätigkeit und die ganze Handlung spielt in einem kleinen Umfeld der Verlagswelt. Das ganze System wirkt absurd und grotesk. Es gibt Wiederholungen und Stumpfsinnigkeiten, die sich sehr humorvoll lesen. Der Verlag als Bild für den Mechanismus eine Kollektivs. Der Text ist eine Karikatur auf das sowjetische System in seiner Endphase und deutet den Zusammenbruch an. Das Buch ist 1980, d.h. vor Glasnost und Perestroika, erschienen und liegt nun in einer tollen deutschen Übersetzung vor. Das Manuskript in der Handlung bleibt weiterhin ein Rätsel. Lediglich der Titel verspricht Veränderung. Denn die Berge gelten als Sehnsuchtsort. Der Sehnsucht nach einer Erhöhung, von der aus man den Überblick hat. Das Blau gilt als Sinnbild der Freiheit, Klarheit, Ferne und Gelassenheit.

Tscheischwilis Werk ist in seiner Heimat ein Klassiker und diente als Grundlage für den Film: „Die Himmelblauen Berge oder Eine unglaubwürdige Geschichte“. Das Buch ist eine kurzweilige und lesenswerte Entdeckung und lebt von den Dialogen, dem Witz und der absurden Geschichte. Die Buchgestaltung ist passend zum Inhalt, d.h. es stellt eine Manuskriptkladde dar. Leider wird aber wohl gerade dadurch das Buch als unscheinbar im Handel wahrgenommen und der feine Inhalt bleibt auf den ersten Blick verborgen. Dabei ist es wünschenswert, dass das Buch einen weiteren Bekanntheitsgrad bekommt, denn es ist eine lohnenswerte und spaßige Lektüre.

Das Buch kann in jeder Buchhandlung bestellt werden und somit auch in der Buchhandlung Almut Schmidt

 

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