Alexa Hennig von Lange: „Kampfsterne“

Alexa Hennig von Lange Kampfsterne DuMont

Es sind die Achtzigerjahre in einer Siedlung am Rande einer Stadt in der Bundesrepublik. Die Menschen, die diese Ortschaft beleben, führen ein bürgerliches Leben mit vielen Berührungspunkten mit den Nachbarn. Man kennt sich, trifft sich und unternimmt zusammen Grillpartys, besucht Schulaufführungen und geht in der umliegenden, d.h. umzäunten Natur spazieren. Das Design des innwendigen Lebens wird von dänischen Möbelhäusern diktiert, der Geschmack von Wolfram Siebeck oder Dr. Oetker vorgekocht und der Klang der Zeit wird durch Bob Geldofs „Live Aid“ oder das Konzeptalbum „Misplaced Childhood“ von Marillion vorgespielt. Es sind etwas mehr als eine Handvoll Menschen, die dem Buch ihre Stimme geben. Alle sind in sich oder in der Umgebung Gefangene. Sie empfinden sich alle als unfrei. Alle sind unglücklich und ihr Leben, das nach außen ein tadelloses Bild abgeben soll, fühlt sich für alle falsch an.

In kleinen Kapiteln schlüpft der Leser in die Sicht der jeweiligen Protagonisten. Da ist zum Beispiel Rita, die voller Neid auf die Nachbarsfamilie und besonders deren Kinder blickt. Ulla, ihre Nachbarin, die sie irgendwie heimlich begehrt und deren wunderbare Kinder. Kinder, die beim Intelligenztest waren und alle mal Genies werden sollen. Ulla, die von ihrem cholerischen Mann geschlagen wird, hält die lächelnde Fassade aufrecht. Die pubertierende und stets wütende Cotsch, die sich als Jungenschwarm der Schule empfindet und mit vielen bereits Sex hatte, sich dann aber in den nerdigen Johannes verliebt. Das junge Mädchen Lexchen, die bereits weiß, dass die Welt nicht gut ist, sie diese aber gut machen möchte. Wie Jesus. Dann sind da noch die Männer: Der Ehemann Georg, der kluge, introvertierte und bastelnde Johannes sowie Falk, der Musikunterricht in seinem Kinderzimmer gibt.

In kurzen Passagen entwirft Alexa Hennig von Lange ein Gesellschaftsbild, das sich gleich der Buchgestaltung wie ein kubistisches Werk aus einzelnen Farb-, d.h. Textblöcken zusammensetzt. Ein zügig zu lesender Roman, der die Zeit der Achtziger aufleben lässt. Aber dies ist nur die Würze des eigentlichen Anliegens des Romans. Es sind die Charaktere und deren Entwicklungen und Schicksale, die im Text im Vordergrund stehen. Die Familien in einer einengenden Siedlung und deren Verbindung und Umgang zu- und miteinander. Das Verschwinden der Kindheit und der Unschuld geht einher mit teilweise gewaltvollen Eingriffen und einer bildlichen Entwurzelung. Ein Roman voller Erinnerungen und Gefühle, vor allem in Bezug auf die Kindheit und Jugend.

Ein besonderes Buch, das in einem tollen Sound geschrieben ist und mit Humor das ganze Drama des menschlichen Miteinanders beleuchtet und uns fragen lässt, was es für eine Welt ist, in der wir leben möchten. Beim Lesen werden Erinnerungen an das Schauspiel: „Der Gott des Gemetzels“ (toll verfilmt mit u.a. Jodie Foster, Kate Winslet und Christoph Waltz) von Yasmina Reza geweckt.

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