Dennis Lehane: „Der Abgrund in dir“

Dennis Lehane Der Abgrund in Dir Diogenes

Dennis Lehane zählt für mich zu einem der besten Autoren für gut gemachte Spannungsromane. Besonders seine Charakterisierungen sind herausragend. Mit wenigen Skizzen werden die Figuren plastisch und im Leser sehr lebendig. Seine Romane sind Psychothriller oder Mafiaromane, die auch schon oft verfilmt wurden (u.a. „Mystic River“, „Shutter Island“, „Thr Drop“ und „Live by Night“). Ferner hat Lehane für drei Episoden der Serie „The Wire“ die Drehbücher geschrieben.

„Der Abgrund in Dir“ lebt,  wie in Lehanes Werken üblich, vom Aufbau der komplexen Charaktere und die Spannung wird regelrecht ab der Mitte des Buches angezogen. Bis dahin ist es ein literarischer Text, der lediglich durch den Prolog den Hinweis auf den eigentlichen Thriller gibt. Die Heldin ist voller Ängste und Zweifel und verheddert sich in ihrer Karriere als Journalistin. Nebenbei ist sie stets auf der Suche nach ihrem Vater und findet dabei Unterstützung von einem Mann, der sich anfänglich im Hintergrund hält, sich dann aber immer mehr zeigt und es zu einer Liebesgeschichte kommt. Hass geboren aus Unwissenheit und Liebe liegen nah beieinander und können jenem, der es fühlt, den Magen umdrehen. Denn gleich der erste Satz im Roman lautet: „An einem Dienstag im Mai, im Alter von sechsunddreißig Jahren, erschoss Rachel ihren Mann.“ Der Spannungsbogen ist somit gleich im Anfang aufgebaut, denn warum macht Rachel dies und was oder wer hat sie zu diesem Mord getrieben?

Rachel Childs wurde in West-Massachusetts geboren. Sie wächst in einer Welt der Cafés und Frühstückpensionen auf, die sich immer mehr in Bars und Kneipen verwandeln. Oft blickt Rachel auf einem Barhocker sitzend in den gegenüberliegenden Spiegel und sieht sich selbst vis-à-vis. Sie wandert gedanklich zurück und sieht letztendlich in die Augen ihrer Eltern im eigenen Spiegelbild. Ihr Vater heißt James, hat dunkles gewelltes Haar und ist oder war als Lehrer tätig. Sonst weiß sie nichts über ihn. Ihre Mutter schweigt sich aus. Zu Rachels eigenem Schutz, wie sie behauptet. Die Mutter lebt ein fast schon scheinheilig zu nennendes Leben, denn sie hat einen psychologischen Ratgeber geschrieben, der ein Bestseller wurde, an den sie sich selbst aber nicht gänzlich halten mag. Rachel ist durch den fehlenden Vater von Verlustängsten geplagt, die durch den tragischen und tödlichen Unfall der Mutter verstärkt werden. Sie setzt alles daran, ihren Vater zu finden. Sie sucht eine Detektivkanzlei auf und lernt Brian kennen. Brian macht ihr wegen den sehr geringen Angaben, die sie über ihren Vater zu berichten weiß, wenig Hoffnung. Er rät ihr auch von einer beauftragten Suche durch eine Kanzlei ab, die letztendlich nur Geld kosten würde, aber den Vater wohl niemals ausfindig machen würde.

Rachel ist als Journalistin tätig und bekommt die Chance für die großen Fernsehsender tätig zu werden. Als sie eine Reportage auf Haiti drehen soll, vermasselt sie die erste und auch die zweite Chance, die ihr die Sender gegeben haben, durch ihre ersten öffentlichen Panikattacken. Auch ihre erste Ehe scheitert an ihrer inneren Zerrissenheit. Sie bekommt stets seelischen Beistand durch die Schreiben von Brian, den sie für die Suche nach ihrem Vater kontaktiert hatte. Als es zu einem wohl nicht ganz zufälligen Treffen kommt, entsteht eine starke Verbundenheit und sie heiraten. Nun hat Rachel eigentlich alles, was sie sich erträumt hatte. Einen liebevollen Ehemann, ein gutgestelltes Leben und ihre Panikattacken werden immer weniger. Doch bleibt die Angst vor dem Verlust und die Furcht, verlassen zu werden. Brian ist ein guter Ehemann, ein Freund und ein guter Zuhörer. Doch was weiß Rachel von ihm? Brian, der mit seiner Familie gebrochen zu haben scheint, aber das Familienunternehmen führt, ist oft dienstlich unterwegs. Als er in London sein sollte, meint Rachel ihn aber in der Stadt gesehen zu haben. Ein Doppelgänger oder ist er es und belügt er sie? Sie beginnt Fragen zu stellen und ihr Leben wird erneut eine Farce aus Lügen und Betrug.

Ein Roman, der durch seine vielschichtigen Figuren und die Stimmung lebt. Die Spannung wird ganz langsam aufgebaut und steigert sich ab der Mitte immer mehr. Vorher nimmt Lehane sich die Zeit, um seine Figuren und die Handlung weitreichend aufzubauen. Ab und zu blitzen Erinnerungen an seine anderen Werke auf. Die Dunkelheit in der Psyche geht einher mit den Beschreibungen der dämmrigen und verregneten Umgebungen. Wohl der langatmigste Lehane, der mehr auf den Figuren, dem Setting und der Geschichte aufbaut als auf Action und pure Spannung.

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