Anne Tyler: „Launen der Zeit“

Anne Tyler Launen der Zeit Kein & Aber

Ein Roman über eine Frau, die im Laufe ihres Lebens viel zu oft durch andere Menschen bestimmt und gelenkt wurde und erst als sie erneut verheiratet ist und ihre Söhne erwachsen sind, kommt sie sich selbst Stück für Stück immer näher und erkennt, was sie möchte. „Launen der Zeit“ passt dahingehend, weil es die Passivität ausdrückt. Passiv den äußeren Umständen und Gegebenheiten gegenüber. Der originale Titel „Clock Dance“ ist dann aber doch etwas verspielter und aussagekräftiger.

Es ist die Geschichte einer Frau, die durch die Jahrzehnte ihre Passivität ablegt und ihr eigenes Leben findet. So beginnt der Roman 1967 als Willa Drake noch ein Mädchen ist, springt dann ins Jahr 1977 in ihre College-Zeit, erzählt danach von ihrer ersten Ehe im Jahr 1997 und der Hauptabschnitt spielt 2017, wo Willa sich frei und unabhängig macht.

Willa wächst in einer Familie auf, die nach außen hin wie eine amerikanische Durchschnittsfamilie wirkt. Doch ist ihre Kindheit durch die Aussetzer der Mutter geprägt, unter denen ihre jüngere Schwester noch viel mehr zu leiden hat. Ihr sorgender Vater ist es, der der ruhende Pol, der Anker innerhalb der Familie ist. Die Mutter wirkt überfordert und empfindet sich ihrem Mann gegenüber als moralisch unterworfen. Daher bricht die Mutter aus dem Familienidyll aus, weil sie das „Gandhi-Dasein“ ihres Mannes nicht aushält. Die Mutter verschwindet dann, manchmal nur wenige Stunden, oft aber für viele Tage. Dadurch wachsen die Mädchen in einem leicht verstörenden Umfeld auf. Als Willa das Elternhaus verlassen hat, um zu studieren, lernt sie Derek kennen. Als Derek ihre Eltern kennenlernen und ihnen unbedingt ihre Verlobung mitteilen möchte, kommt es bereits während des Fluges zu einer kleinen Katastrophe. Willa wird von ihrem Sitznachbarn bedroht und kann nicht handeln. Als sie aus dieser Situation doch ohne weiteren Schaden herauskommt, glaubt ihr keiner und alle spielen das Erlebte herunter. Nur ihre Mutter ist es, die ihr Glauben schenkt und sich aufregt, dass keiner handelt oder gehandelt hat. Auch die Verlobung löst bei der Mutter keine große Freude aus, da Derek Pläne für die Zukunft hat, die Willas eigene Karriere nicht berücksichtigen.

Willa und Derek heiraten und bekommen zwei Söhne. Derek ist ein aufbrausender Mann, der sich auch im Straßenverkehr nicht wirklich einzuordnen weiß und es kommt zu einem tragischen Unfall. Vorausgegangen war ein Streitgespräch, weil einer ihrer Söhne zumindest zeitweise nicht mehr zur Schule gehen möchte. Willa ist nun Witwe und wird von Schuldgefühlen geplagt. Ihre beiden Söhne werden erwachsen und sind recht unterschiedlich. Sie distanzieren sich immer mehr von ihrer Mutter. Willa lernt einen wohlhabenden aber auch sehr pragmatischen Mann kennen und heiratet erneut. Der Weckruf in ihrem Leben kommt durch eine Nachbarin von Denise, einer ehemaligen Freundin ihres Sohnes. Denise liegt mit einer Schussverletzung im Krankenhaus und es muss sich jemand um ihre Tochter kümmern. Die Nachbarin dachte, Willas Sohn sei der Vater. Auch wenn Willa keine wirkliche familiäre Bindung hat, reist sie dorthin um zu helfen. In dieser neuen Umgebung beginnt sie sich selbst wahrzunehmen. Sie genießt es, gebraucht zu werden. Das neue Umfeld, die Nachbarn, der Hund Airplane und das Kind von Denise beginnen Willas Leben durcheinanderzuwirbeln.

Ein feiner amerikanischer Roman über Passivität, Selbstverwirklichung und familiäre Bindungen und ein Buch, in dem man sich zügig wohl fühlt. Der letzte Abschnitt ist etwas gebremster, wird aber durch die spleenige Dorfgemeinschaft dennoch sehr lebendig erzählt. Ein Text über eine zweifelnde Frau, die sich selbst kennenlernen muss, um ihr eigenes Leben in die Hand nehmen zu können und sich dabei endlich als nützlich zu empfinden.

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