Adriana Altaras schreibt erneut mit viel Hingabe, Witz und Ehrlichkeit über Familiengeschichten, den Holocaust und ihr persönliches Erleben im Theateralltag. Die Hauptprotagonistin ist wieder sie selbst. Eigentlich hat sie seit ihren letzten Büchern genug vom Erinnern, schreibt sie. Doch wird sie in einen Strudel von Emotionen und Erzählungen hineingezogen, dem sie sich nicht zu entziehen vermag und gerade ihr engster Freund, der in Israel lebt, bittet sie, diese ungewöhnliche Geschichte zu erzählen. So macht Altaras zum Glück eine Ausnahme und es ist ein sehr lesenswerter Roman entstanden.
Der Vergleich mit Lily Brett liegt nahe, wobei solche Vergleiche stets schwierig sind. Aber beide gehen an die Bewältigung der Vergangenheit, die sich als roter Faden durch ihrer beider Leben zieht, mit sehr viel Humor, Leichtigkeit und künstlerischem Können heran. Der Aufbau und die Geschichte, die in „Die jüdische Souffleuse“ erzählt wird, erinnern etwas an ein barockes Theaterstück. Dies ist nicht verwunderlich, denn Altaras liebt es, zu inszenieren. Sie ist Regisseurin für Theater- und Opernproduktionen. Als sie, d.h. ihr literarisches Alter Ego, ein Arrangement in einem Provinztheater annimmt, geht sie erneut in einer Einöde vor Anker. Sie wurde für die Produktion „Entführung aus dem Serail“ von Mozart engagiert. Bei den Proben fällt immer wieder die Souffleuse Susanne, Sissele genannt, etwas negativ auf. Sissele hat die Bücher von Altaras gelesen und sucht ihre Nähe und Zuwendung. Etwas scheint in ihr zu rumoren, das sie unbedingt mit Adriana besprechen möchte. Die Geschichte, die Sissele dann später auch zu erzählen hat, ist die Geschichte einer Familie, die durch den Schrecken des Zweiten Weltkriegs zerrissen und in alle Welt verstreut wurde. Sissele ist überzeugt, dass ihr nur noch Adriana Altaras helfen kann, ihre Familie ausfindig zu machen.
Nebenbei muss aber die Mozartinszenierung Gestalt annehmen. Daher kann Altaras Sissele vorerst nicht die Aufmerksamkeit schenken, die sich diese gewünscht hätte. Das internationale Opernensemble benötigt die ganze Hingabe der Regisseurin. Die kleinen und großen Konflikte mit den Schauspielern, Kostümbildern, Kulissenbauern und den Theaterbetreibern wird mit sehr viel Witz und Charme erzählt. Das ganze Theaterleben wird im Roman mit Liebe, aber auch mit Kritik beleuchtet.
Nach der erfolgreichen Premiere beginnt das Abenteuer der beiden Frauen. Adriana macht sich mit der Souffleuse auf die Suche nach deren Familie. Es ist die tragische Geschichte einer jüdischen Familie, die durch Deportation auseinandergerissen und in den Konzentrationslagern gedemütigt und ermordet wurde. Sissele selbst hat in mehreren Familien und Orten gelebt. Vergeblich hat sie bisher ihre nahen Verwandten gesucht. Beide erleben eine abenteuerliche Reise, die eng mit den Schrecken des Holocaust einhergeht.
„Man muss nicht selbst in Auschwitz gewesen sein, man muss nicht einmal zur Opferseite zählen, es genügt eine sensible Seele zu haben, um nachts nicht schlafen zu können.“
Als die Frauen sich später aus den Augen verlieren und Adriana Altaras „Elektra“ von Strauss inszeniert, kommt es nicht nur auf der Bühne zu einer ungewöhnlichen Familienaufstellung und Zusammenführung.
Die Bretter, die die Welt bedeuten werden zum Ausgangspunkt und Spiegel des tatsächlichen Lebens. Der fast schon absurde Theateralltag, der in sich die Verbindung zwischen Sein und Spiel verbirgt, steht dem tatsächlichen Leben gegenüber. Ein tragisch-komischer Roman, der einen Teil der Geschichte des 20. Jahrhunderts erzählt, der niemals in Vergessenheit geraten darf. Dennoch ist die Erzählweise sehr leicht, humorvoll und voller Liebe zu den Charakteren, die mit dieser Lektüre nicht nur das Leben der Autorin bereichert haben.
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