Berit Glanz: „Pixeltänzer“

Berit Glanz Pixeltänzer Schöffling & Co

Dieser Roman verbindet Altes mit Neuem, Kunst mit Künstlichkeit, Öffentlichkeit mit Anonymität. Ein vielschichtiger Roman, der in der hippen, technik-hypenden Gegenwartswelt Berlins beginnt und seinen Bogen schlägt zu den expressionistischen Künstlerwelten Hamburgs. Der Wunsch nach Anonymität geht einher mit einer blühenden Sehnsucht nach Analogem. Sich hinter Masken zu verstecken, war schon immer ein Ausdruck der Gesellschaft und Kultur. Damals ging man auf Maskenbälle und heute verbirgt man sich hinter Avataren. Der Titel „Pixeltanz“ verbindet hier jenen Tanz, der aus der Ausdruckskunst stammt und stets die Körperlichkeit benötigt. Der gegenwärtige Maskentanz braucht keinen realen Kontakt mehr und erlebt sich im digitalen Massenstrom.

Elisabeth arbeitet bei einem Startup in Berlin. Sie überprüft hauptsächlich die Codierungen der zu entwickelnden Software. Neben dieser Kontrollfunktion soll sie in ihrem Team stets Ideen sammeln und die vorgegebenen offenen Punkte zügig abarbeiten. Es ist ein junges Unternehmen, in dem Teamdruck herrscht, aber auch die üblichen Belohnungen und Spielereien der selbstbewussten Digital Natives. Elisabeth, die sich passenderweise auch stets Beta nennt, ordnet sich ihre Welt nach ihren eigenen Mustern. Sie passt jeden Tag die Farbe ihres Rubik, d.h. Zauberwürfels an. Sie erkundet kontinuierlich alle Berliner Eisdielen, um jeweils das Erdbeereis zu probieren. Erdbeereis als Bild eines ewig Bestehenden. Denn trotz der heutigen Vorliebe, stets neue Eiskreationen zu entwickeln, wird es Erdbeereis wohl immer und überall geben. Sie macht Fotos von Tieren, die sie später mit ihrem 3D-Drucker in der farblosen Plastikwelt verewigt.

Ihr Abenteuer beginnt, als sie sich eine App mit dem Namen Dawntastic herunterlädt. Diese Software schafft eine vermeintliche globale Nähe. Es ist ein Weckdienst, der einen zu der gewünschten Zeit anruft. Die Anrufe kommen von anderen Menschen, d.h. Usern weltweit. Sie wird eines Tages von einem Fremden mit einer Maske im Profilbild kontaktiert. Er nennt sich Toboggan und da sie mehr über ihn und die Maske in Erfahrungen bringen möchte, beginnt ein langes Suchspiel. Beta öffnet kurzerhand einen Blog und versucht so, weiteren Kontakt zu jenem Fremden aufzubauen. Er meldet sich auch tatsächlich. Mal mit einem kurzen Kommentar zu einem Beitrag, mal versteckt er seinen Text im Quellcode oder hinterlässt in einem Foto einen QR-Code.

Alle Hinweise deuten auf das Leben und Werk des Künstlerpaares Lavinia Schulz und Walter Holdt. Beide lernten sich 1919 in Hamburg kennen. Schulz und Holdt entwarfen gemeinsam Tanzvorführungen in eigens dafür entwickelten Ganzkörperkostümen, unter anderen die Maskenfigur „Toboggan“. Diese avantgardistischen Tanzvorführungen stellten etwas Groteskes, Provozierendes und den Wunsch nach Veränderung dar. Dieser Wunsch nach einem Ausbruch und einer Realitätsveränderung ergreift Beta auch immer mehr, je weiter sie sich mit den Leben der Künstler und ihrer Hingabe zur Kunst beschäftigt.

Die Erzählungen um das Künstlerpaar reihen sich textlich gekonnt in die Geschichte um Beta, die diese zu lesen bekommt. Geschrieben von jenem geheimnisvollen Fremden. Wer ist dieser Toboggan? Auch jene Frage treibt Beta an.

Der Roman ist toll geschrieben. Die verschiedenen Welten sind jeweils großartig dargestellt. Was sich fantastisch anhört, wird Realität und die Maskenfiguren können gegenwärtig immer noch im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg besichtigt werden. Auch der „Toboggan“ (mehr auf: mkg-hamburg) wartet dort auf seine Besucher. Ein Debütroman, der mich begeistert hat und hoffentlich viele Leser finden wird. Ein kluges, schönes und sinnlich-körperliches Leseerlebnis.

Mit freundlicher Genehmigung des Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg

Siehe eine weitere Besprechung von Brigitte Hofmann auf Feiner Buchstoff.  Zum Buch in unserem Shop

 

2 Kommentare

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2 Antworten zu “Berit Glanz: „Pixeltänzer“

  1. Bri

    Merci fürs verlinken – ich werde die mir bisher bekannten Beiträge dazu auch noch verlinken. LG, Bri

  2. Pingback: Berit Glanz | PIXELTÄNZER – Bookster HRO

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