Foltergaul: „Im Morast mit Kommissar Hjuler und Mama Baer“

Ein real-surreales Werk voll herrlichem Irrsinn. Der Roman, der aus dem Umfeld des Autors  entsprungen wirkt, verlässt Raum und Zeit und überspringt diverse Lebensachsen. Achsen, die geografisch zum Beispiel zwischen Kiel und Flensburg angesiedelt sind, aber auch das Raum-Zeit-Kontinuum durchhüpfen. Der Zeitstrahl kann niemals gradlinig fließen, wenn man es mit dieser Kunstform zu tun bekommt. Foltergaul, Tarekh oder doch Peter Rathke ist das Erzähler-Ich. Er ist Künstler, Verleger und Autor. Sein Freundeskreis ist in der Kulturellenwelt verwurzelt. Er hat Michael Engler entdeckt und pflegt eine Freundschaft mit dem Künstlerduo Mama Baer und Kommissar Hjuler aus Flensburg. Auf der Suche nach literarischer Transformation, so sagt er, hat er diese oft aufgesucht. Was dabei entstanden ist, ist das Buch „Im Morast mit Kommissar Hjuler und Mama Baer“. Im Mittelpunkt steht dabei immer die Kunst – Brecht würde wohl sagen: „Das ist Kunst, Du Idiot“. Dabei orientiert sich der Text viel mehr an zeitgenössischer Gegenwartsliteratur und könnte als humorvolle und moderne Antwort auf „Die Flucht aus der Zeit“ von Hugo Ball verstanden werden.

Das Lesen des Buches verwirrt und unterhält. Beim Blick zum Autor könnte man fragen, was hat mich denn da geritten? Doch berauscht der Text und zügig ist man, wie betrunken, in ein Zeitloch gefallen und versteht mehr oder weniger, je nach Standpunkt. Paten für das Werk könnte man mit Hugo Ball, Kurt Vonnegut und Helge Schneider benennen. Einiges wirkt ferner beflügelt durch einen guten Whisky.

Mama Baer und Kommissar Hjuler kreieren zusammen Musik, Malerei, Collagen, Installationen, Performance, Experimentalfilme und gelten als Vertreter der Fluxus-Bewegung. Alles ist somit durch die drei Künstler in den Fluss geraten – zumindest im Roman. Denn dass es ein Roman ist, der die Realität lediglich streift, wird schnell deutlich, wenn sich die Gegenwart mit der Vergangenheit, den Kriegserlebnissen vermischen. Auch tauchen gegen Ende Gegenspieler der Protagonisten als Nicht-Doubles auf. Fluxus versteht sich aber auch als werdender Prozess. Kunst als Weg und nicht als fixiertes und endgültiges Werk. So ist auch dieser Roman ein Weg. Das Erzähler-Ich beginnt das Buch zu schreiben, als dieses sich dem Ende nähert. Somit ist die Gestaltung nur eine logische, denn das wahre Titelbild ziert bei diesem Druckerzeugnis die Rückseite.

Foltergaul reist oft nach Flensburg, um seine Freunde zu treffen. Gemeinsam sprechen sie über das Leben und die Kunst. Dabei essen sie dänische Pommes oder fahren gemeinsam nach Berlin zu diversen Ausstellungen. Dabei kommt natürlich auch das Sexleben nicht zu kurz, denn Mama Baer trifft auf Ian Curtis (Joy Division), der eventuell doch überlebt hat. Die Erinnerungen an die menschlichen Kriege vermischen sich mit dem alljährlichen Kampf von Holstein Kiel beim Versuch seines Aufstiegs. Dabei ist wohl stets der wichtigste Satz: „Ich kann nicht mehr“.

Eine eigentliche Inhaltsangabe fällt schwer. Wer Kunst und Kultur liebt und dabei Halluzination, beziehungsweise traumwandlerische Verwirrung sucht, sollte den Schritt zum Buch wagen. Es ist auch eigentlich nicht wichtig zu wissen, dass dies der zweite Teil einer Trilogie ist. Der erste Band heißt: „Im Knast mit Kommissar Hjuler und Mama Baer“. Doch wann ein dritter Band erscheint steht wohl in den Sternen, denn Peter Rathke aka Foltergaul hat sich für den zweiten Band lange bezirzen lassen müssen, glaubt man dem Inhalt…

Ein witziger und unterhaltsamer Ritt durch die Kulturtransformation.

Ein Zitat aus dem Werk:

„Der Kaffee von Kommissar Hjuler und Mama Baer schmeckt gut.

„Kennt ihr eigentlich den Klangkünstler Hauke Harder? Es gibt auch den Buchhändler Hauke Harder, es ist alles so verwirrend.“

„Einige Sätze im Roman könnte man sicherlich streichen“, sagt Kommissar Hjuler nun.“

(Bitte keinen, sagt das Hauke-Ich)

Peter Rathke aka Foltergaul

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