
Der Text wirkt nüchtern und ist es dann letztendlich nicht. Es ist eine beeindruckende Lektüre über Menschlichkeit und zählte 2019 zu den besten ukrainischen Büchern (PEN Ukraine). Seit 2022 liegt nun die deutsche Übersetzung von Matthias Müller vor. Das Werk wird aufgelockert durch passende Illustrationen von Serhii Kostyshyn. Der Blick verweilt auf Obdachlosen und gibt diesen Menschen ein komplexes Gesicht.
Der Roman ist gleichzeitig ein Blick auf die Gesellschaft. Die beschriebene Gesellschaft ist durch Konsum und Wegwerfgedanken geprägt. Auf der einen Seite die Sucht nach Belohnung, nach Objekten, die sinnvoll den Alltag verschönern, aber auch erleichtern und doch schon später ihren Zweck überholt zu haben scheinen. Diese Dinge sind es, die die junge Frau sortiert, einschätzt und wieder dem Kreislauf zuführen soll. Eine Heimgemeinschaft im Westschweizer Jura führt Haus- und Wohnungsräumungen durch. Obdachlose, die in diesem Obdachlosenheim gestrandet sind, werden Zeugen der Überflussgesellschaft. Sie sichten, reparieren die gebrachten oder abgeholten Dinge und verkaufen diese im eigenen Laden.
Die Erzählerin, Anna, ist eine junge Frau aus der Ukraine. Ihr fällt es schwer zu sagen, wie es kam, dass sie plötzlich mittellos wurde. Die Arbeit erfüllte sie nicht und sie hatte gekündigt und verlor dadurch ihre Wohnung. Sie hatte ihr Lebensfeuer verloren. Da sie ihren Platz in der Gesellschaft und auf der Erde noch nicht gefunden hatte, war es ihr egal, wo sie obdachlos war. Sie wollte frei sein und landete in der Schweiz.
Dies war ihr Weg in das Obdachlosenheim, wo sie in die Heimgemeinschaft integriert worden ist. Nicht nur die weggeworfenen Dinge erhalten durch die Gruppe ein neues Leben, sondern auch die agierenden Menschen. Die Mitbewohner haben alle ihre Geschichten, die die Erzählerin nun sammelt und festhält. Aus verschiedenen Regionen und Ländern kommen sie und haben alle eine bewegende Vergangenheit.
Die Autorin hat mehrere Monate selbst in diesem Obdachlosenheim verbracht und widmet das Werk den Menschen und ihren Geschichten. Jede ist ein Puzzlestein, ein Streichholz eines gesamten Gebäudes. Das Werk aus der Ukraine ist ein lesenswertes Buch, das den Blick an den Rand unserer Gesellschaft wirft.
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