
Ein Roman, der einen zukünftigen Schrecken nüchtern erzählt und durch den emotionslosen Ton viel Gefühlschaos und Gedanken beim Lesevorgang provoziert. Eine Welt, die an Orwells Visionen anknüpft und diese mit aktuellen Werken wie zum Beispiel „Lärm und Wälder“ von Juan S. Guse in Verbindung bringen lässt. Ferner wird der visionäre Roman mit den Texten von Murakami oder Houellebecq verglichen. Dies, weil Ray Lorgia die politische Belletristik durch seinen Text, der etwas vom fantastischen Realismus in sich birgt, mit neu gestaltet.
Der Roman ist eine spannende Parabel auf unsere Gesellschaft, die hier in einer verlängerten Gegenwart platziert wird. Eine Stadt als Raum, in der sich das deklarierte Böse weder verstecken noch gesellschaftlichen Schaden anrichten kann. Eine gänzlich durchsichtige Stadt. Die Menschen, die für die Bevölkerung zuständig sind, denken für diese, während sie dabei über diese nachdenken und Regierungen bilden. In diese Stadt kommen nur Menschen, die keine Verdachtsmomente erregen. Dadurch kommt es zu Verleumdungen. Es gibt Denunzianten, die andere Denunzianten denunzieren. Die Transparenz beeinträchtigt somit nicht nur die Privatsphäre.
Es herrscht Krieg. Bereits seit zehn Jahren, doch kann keiner mehr wirklich benennen, wie der Krieg ausbrach oder wer der Feind ist und für was gekämpft wird. Zumindest weiß es der Erzähler nicht. Er und seine Frau bewirtschaften ihr Anwesen und hoffen auf die Rückkehr ihrer Söhne, die in den Krieg eingezogen wurden und seitdem verschollen sind. Sie empfinden ihren Optimismus selbst schon als unbegründet. Eines Tages ist bei Ihnen im Keller ein fremdes Kind und weint. Sie nehmen sich dieses Kindes an und nennen es in Folge Julio, denn das Kind selbst schweigt beständig.
Die Front verlagert sich laut dem Bezirksvorsteher und die Liegenschaften sollen geräumt werden. Die Besitzer sollen nur das Nötigste und Erlaubte mitnehmen und den Rest, auch die Häuser, anzünden. Benzin wird gestellt. Eine Flucht erscheint unmöglich, denn auch die privaten Fahrzeuge wurden konfisziert. Die Evakuierung in die sogenannte „Durchsichtige Stadt“ wird staatlich organisiert. Alles wird reglementiert und Privates erschwert. Unter einer Glaskuppel findet sich ein Gewirr aus durchsichtigen Straßenzügen, Gebäuden und Geschäften. Medizin, Fotoalben und Kleidung werden alle neu gestellt und erstellt. Wie kann man Ruhe finden in einer gänzlichen Transparenz? Welche Geheimnisse trotzen dem gläsernen Blick? Wer die gesellschaftlichen Regeln missachtet muss mit Konsequenzen rechnen. Kapitulation, ein mögliches Einleben in der Durchsichtigkeit oder ist eine Flucht möglich?
Eine Dystopie in der Geheimnisse verboten und das Leben reglementiert ist. Jeder wird in dieser Welt zum Big Brother, jeder beobachtet, ohne den wahren Beobachter zu kennen. Bis zum Ende eine bestürzende Überraschung. Das Werk wurde aus dem Spanischen von Alexander Dobler übersetzt.
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