
Die dänische Meisterin des minimalistischen Erzählens ist mit zwei Romanen, die in der Deutschen Übersetzung als ein Buch erscheinen, zurück. Ihre Werke sind voller stiller Geschichten, die, wenn man nicht aufpasst, in ihrer Fülle sang- und klanglos vorbeirauschen könnten. Man muss Helle Helle zuhören und ganz genau in die Schilderungen hineinhorchen, um alles im Roman erfassen zu können. In der sprachlichen und inhaltlichen Reduktion versteckt Helle Helle emotionale und kluge Kniffe, die das Dramatische langsam erklingen lassen.
Sie sind Mutter und Tochter. Aber auch das ganze Umfeld. Bob kommt auch in „Sie“ bereits im Freundeskreis vor, um dann im zweiten Teil, d.h. Roman, die Hauptfigur zu werden. Aber beide Geschichten drehen sich um sie, die Tochter, die stets im Mittelpunkt steht. Da die Präsenz der Namenlosen, der Ich-Erzählerin, auch bei Bob raumeinehmend ist, lässt sich hier ein groß angedachter Romanzyklus vermuten. Im zweiten Teil erzählt sie von Bob und ihrem gemeinsamen Leben und besonders von den Erlebnissen, woran sie selbst nicht teilhat.
Das kindliche, leichte Leben verläuft sich für die Erzählerin als die Mutter sagt, sie habe wohl einen Stein verschluckt. Die Krankheit der Mutter lässt diese nur noch wenig Nahrung zu sich nehmen und die Kraft schwindet im Verlauf der Handlung immer mehr. Die Diagnose wird genannt und es sind nur noch wenige Wochen, die die beiden zu haben scheinen. Somit ist der Alltag ein Abschiednehmen. Doch bleibt die Mutter im Roman gegenwärtig und sie verlässt das Buch nicht. Somit ist es ein Alltag einer Schülerin, die in den 80ern aufs Gymnasium geht und Freunde trifft, die Liebe kennenlernt und versucht, ihren Schmerz und den drohenden Verlust in Worte zu kleiden.
Später ist es Bob, den sie aus ihrem Freundeskreis kennt, dessen Perspektive der Roman wiederum aus ihrer Sicht einnimmt. Sie sind ein Paar und wohnen in Kopenhagen. Während sie weiß, was sie will und die Lebensziele zukunftsorientiert erahnt, mäandert er noch in seiner Selbst-und Sinnfindung. Er treibt im wahrsten Sinne durch die Gassen und Straßen der Küstenstadt, bis er einen Job findet. Nebenbei richtet er die kleine, aber gemeinsame Wohnung ein und wünscht sich eine Zukunft mit ihr.
Die Krisen und das Dramatische blitzen in den kurzen Sätzen lediglich auf. Die Sprachmelodie und das Weggelassene erzeugen einen großen Resonanzraum im Lesenden. Mit enorm leisen Tönen wird hier ein Crescendo aufgeführt. Helle Helles Romane verlangen ein aufmerksames Lesen und Einfühlen, um das Erzählte erfassen zu können. Mit viel Empathie und Tiefgang werden die Charaktere skizziert. Ein großer Roman, der mit wenig Handlung Großes zu erzählen versteht. In der Kleinigkeit, aber niemals Nichtigkeit, versteckt sich das Eigentliche. Die Übersetzung stammt von Flora Fink.
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