Feridun Zaimoglu: „Bewältigung“

Ein Künstlerroman über einen namenlosen Autor, der versucht einen Roman über Hitler zu schreiben. Der Autor will begreifen. Dabei verwischen sich immer mehr die Grenzen zwischen Recherche, Obsession, Wahn und Wirklichkeit. Der Autor will den Menschen Hitler begreifen und sucht diesen nicht nur in der Literatur, sondern besucht die historischen Orte und Menschen. Doch wird der Stoff giftig und greift den Autor an. Es wird zu einer enormen Aufgabe und Bewältigung.

Feridun Zaimoglu schreibt, als würde er es selbst sein. Beide Autoren haben türkische Wurzeln und leben in Kiel. Zaimoglu ist oft mit seinem Notizbüchlein zu sehen, in dem er sich Notizen, Dialoge und Zitate notiert. So auch der Namenlose, der sich vornimmt gerade Hitler zum Protagonisten seines neuen Werkes zu machen. Hitler wird dabei mal reduziert auf „H“, um dann auch wieder das „Menschenschwein“ zu werden, der er war. Wie kam es zu jener Überidentifikation von so vielen mit dem postkartenmalenden Führer?  Woher stammen der Hass, der Faschismus und der Wahn? Der Stoff gärt, als würde Zaimoglu nach Aufmerksamkeit haschen, doch ist es der Versuch, die Sprachlosigkeit zu fassen. Immer tiefer versinkt der Autor in die Gedankenwelt um und von Hitler und verliert sich dabei in dieser. Als Schriftsteller den Verbrecher literarisch zu bändigen, kann nicht gelingen und das Begreifen wird zu einer Bewältigung und letztendlich entgleitet ihm die Kontrolle.   

Ein Roman, eine Recherche und eine Reise in die Vergangenheit. Die Verwandlung und die Verwischungen zwischen realen Figuren und den fiktiven heben sich kontinuierlich auf und es endet als sprachlosmachender Kunstroman.

Ein Roman, der sich rhythmisch in die Köpfe bohrt und dort noch lange tonangebend sein wird. Ein wichtiges Buch gegen das Ausblenden und Vergessen.

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2 Kommentare

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2 Antworten zu “Feridun Zaimoglu: „Bewältigung“

  1. Der Roman hat mich nur so halb überzeugt.
    Die Vermenschlichung Hitlers ist sehr effektiv.
    Aber während der Erzähler Antworten auf seine Leitfragen (kann man/wie über Hitler schreiben?) findet, findet der Text mE keine – formal ist das im Ergebnis ein sehr typischer Recherche-Roman. Also das, was die deutsche „Hochliteratur“ seit einigen Jahren sowieso schon stark dominiert. Ich habe das Gefühl, über meine Figuren nicht direkt schreiben zu können, sei es, weil es irgendein Tabu gibt, sei es, weil ich insgesamt davon ausgehe, dass man eigentlich überhaupt nicht mehr unmittelbar über irgendwelche Figuren schreiben kann, also schreibe ich über eine Figur, die über die Figur recherchiert und das ist dann der Roman. Das ist die gleiche Art und Weise, wie über Eltern, Großeltern, Künstlerinnen und Künstler und historische Figuren, meist eher solche, die es erst zu entdecken gilt, geschrieben wird.

    vll ist die Diskrepanz Absicht oder die Antwort soll sein, man könne formal genauso über Hitler schreiben wie über Yeats oder Oma Erna, aber das widerspräche dann wieder dem inhaltlich Ausgedrückten.

    • Ich denke, es geht Zaimoglu um die Verwandlung und um die Verwischungen zwischen realen und fiktiven Figuren. Der Lebensraum, die Vergangenheit, Erzähler und Autor lösen sich kunstvoll auf und die Recherche ist nur ein Teil des Weges im Roman. Erlesene Grüße, Hauke

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