Milena Michiko Flašar: „Oben Erde, unten Himmel“

Milena Michiko Flašar schreibt eigentlich ihre Geschichte, die sie uns erzählen möchte, immer weiter. In ihren Werken geht es stets um Vereinsamung. Ihr Debut „Ich nannte ihn Krawatte“  trifft ein Hikikomori auf einen Arbeitslosen. In „Herr Kato spielt Familie“ ist es ein Rentner, der diverse Familienmitglieder auf unterschiedlichen Veranstaltungen mimt. Es sind immer Charaktere, die außerhalb der Gesellschaft leben und versuchen, wieder etwas Gemeinschaftliches zu finden. Auch in ihrem dritten Roman sind es Helden, die alleine sind und durch ihre spezielle Aufgabe zum Allgemeinwohl beitragen möchten.

Die Städte werden immer größer. Die Menschen wohnen immer dichter gedrängt und doch entfremden wir uns immer mehr. Die angelegten Parks oder gemeinschaftlichen Grünflächen sind Orte der Begegnungen. Doch verkümmern diese immer mehr. Wir sind alle durch die neuen Medien und Kommunikationsmittel verbunden und doch leben wir getrennt und meist vereinsamen wir. Dies spiegelt sich auch in den gehäuften Fundleichen, die immer mehr auftreten. Verstorbene, die in ihrer Wohnung eingeschlafen sind und von keinem vermisst werden. Erst wenn zum Beispiel die Postzusteller oder spontane Besucher aufmerksam werden oder sich Gerüche bilden, werden diese verstorbenen gefunden. Dies kann Tage oder Monate dauern.

Suzu lebt mit ihrem Hamster in einer kleinen Wohnung in einer japanischen Großstadt. Sie ist alleinstehend und jobbt als Kellnerin. Sie ist introvertiert und hat Probleme, auf Menschen zuzugehen. In einem Datingportal lernt sie einen Mann kennen, der sie aber letztendlich ghostet. Nach häufigeren Treffen bricht er ohne Ankündigung jeglichen Kontakt und jede weitere Kommunikation mit ihr ab. Auch ihr Arbeitgeber findet sie als Kellnerin zu wenig liebreizend und kündigt ihr. Diese Verletzungen lassen sie immer mehr in ihrer Einsamkeit versinken. Auch ihr Hamster, der einen anderen Tagesrhythmus hat, bietet keine große emotionale Zuwendung.

Da sie einen neuen Job benötigt, bewirbt sie sich auf drei unterschiedliche Stellen und bekommt eine Einladung zu einem Gespräch. Da sie nicht nachfragen möchte, welche der Firmen sie kontaktiert hat und zum Vorstellungsgespräch gebeten hat, wird sie am Ende doppelt überrascht. Denn die eine ausgeschriebene Stelle war als Putz- und Aufräumdienst deklariert. Diese Firma ist es, die sie nun einstellt. Doch ist es kein gewöhnlicher Reinigungsdienst. Sondern die Firma ist spezialisiert auf Kodokushi-Fälle. Dies sind alleinstehende Menschen, die unbemerkt verstorben sind. Die Verstorbenen sind weg, wenn die Firma tätig wird. Sie reinigen und leeren die Wohnung. Doch ist es meist dennoch kein schöner Anblick und fordert einen robusten Magen.

Suzu nimmt die neue Aufgabe an und lernt durch die Tätigkeit und die neuen Kollegen eine neue Welt kennen. Sie benötigen viel Geduld, Hingabe und Ehrfurcht, um den Funden gewachsen zu sein. Suzu lernt schnell, wächst an ihrer Aufgabe und findet sich im Team zurecht. Auch wird sie hellhörig gegenüber ihrem persönlichen Umfeld und die Grenzen aus Desinteresse und falscher Diskretion heben sich auf. Sie lernt das Leben hinzunehmen und zu akzeptieren. Sie erlebt die Vielfältigkeit des Seins anhand der Lebenden und der Toten.

Dieser Roman ist ein typischer Flašar, der leichtfüßig große Themen anspricht. Themen, die sie immer wieder anregen, einen Roman zu schreiben. Denn es sind Werke, die uns aufhorchen lassen. Die Lebendigkeit und Liebenswürdigkeit erhalten die Romane durch die verschachtelten und nicht einfachen Charaktere. Ein Buch, das die Welt auf den Kopf stellt und diverse Grenzen porös werden lässt und die Einsamkeit in unseren Köpfen und Herzen auszuhebeln versucht.

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