Demian Lienhard: „Mr. Goebbels Jazz Band“

Der Roman überzeugt durch den Ton, den er nicht nur im übertragenen Sinne anschlägt. Es geht um eine Jazz Band. Jazz, der mit lockeren und mitreißenden Melodien zum mitswingen einlädt. Bläser, die Melodiebögen beginnen, oft den Letzen Ton lediglich andeuten und Schlagzeuger, die federnd das Tempo anheben. Die Geschichte der Band beginnt in der deutschen Hauptstadt. Berlin im Jahr 1940. Die ersten Klänge im Roman erschallen im Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda. Eine Musik, die gerade in dieser Schaltzentrale als „entartet“ tituliert wurde, wird in den innersten Räumlichkeiten erprobt. Die Nazis hassten eigentlich den Jazz und nun wollten sie den totalen Jazz!

Es wurde sich eine der bizarrsten Propaganda-Aktionen ausgedacht. Man erträumte sich eine Schattenarmee, die im Untergrund, wie im U-Bootkrieg, den Feind unerwartet treffen sollte. In England lauschten viele Haushalte den Jazz- und Swingstücken im Radio. Die Nazis kamen auf die Idee, die Moral der Alliierten zu untergraben und wollten Propaganda streuen. Da die Briten und US-Bürger mit Marschmusik wohl nicht zu begeistern gewesen wären, wurde hierfür der Jazz vom Reichspropagandaminister Joseph Goebbels abgesegnet. Die besten europäischen Musiker, darunter auch Juden und Homosexuelle, wurden gesucht. Die Musiker spielten wortwörtlich um ihr Überleben den Swing, für den andere im Vernichtungslager ermordet wurden.

Die Übertragung verlief über den deutschen Kurzwellensender ins Ausland. Musik mit englischsprachigen Meldungen über Kriegsentwicklungen, die die Übermacht der Nazis zeigen sollte. Der Starmoderator war William Joyce aka Lord Haw-Haw. Ein amerikanischer faschistischer Politiker, der aus den USA nach England auswanderte und letztendlich nach Berlin geflohen war. Aber was nutzt reine Propaganda über den Äther? Es sollte auch darüber geschrieben werden. Der Schweizer Schriftsteller Fritz Mahler wird auserkoren einen Propagandaroman zu schreiben, der den Aufstieg der Jazzband, die internationale Erfolge feiert, dokumentiert. Die gesamte Handlung steigert sich zum Crescendo und endet mit einem ausdrucksvollen Whiplash.

Dieser Roman erzählt eine fast bis ins Detail wahre Geschichte. Lediglich einige Figuren und Handlungsstränge sind erfunden. Der historische Zynismus wird hier fast in jeder Zeile literarisch spürbar. Das Bizarre überlagert das Menschenverachtende und das Absurde innerhalb der Grausamkeit wird verdeutlicht. Mit Tempo und ganz viel Fabulierlust hat Demian Lienhard einen sehr lesenswerten Roman geschrieben, der eine ungeheuerliche Geschichte erzählt. Mit viel Wortwitz und einem durchgehaltenen ironischen Ton entlarvt der Roman die perfide Propaganda der Nazis.

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