Clara Dupont-Monod: „Brüderchen“  

Ein berührender Roman, der uns auf sehr einfühlsame Weise die verschiedenen Perspektiven des Lebens aufzeigt. Das Brüderchen ist ein Kind, das seine älteren Geschwister in den Schatten stellt und die beiden älteren Kinder für sich einen Weg finden, damit umzugehen.

Erzählt wird die Geschichte einer Familie in Frankreich. Als das dritte Kind geboren wird, fällt vorerst nichts Ungewöhnliches auf. Es wirkt als sei das neue Brüderchen ein ganz gewöhnlicher Junge. Nach Monaten bemerken sie, dass die Augen stets wandern und nichts zu fixieren scheinen. Neben der Blindheit hat das Kind auch keine Körperspannung und der Kopf must stets gehalten werden. Es reagiert auch nicht körperlich und greift oder bewegt sich kaum. Durch einen Genfehler wird das Kind ständig in dem Stadium verbleiben und keine große Lebenserwartung haben.

Die beiden Geschwister reagieren unterschiedlich und gehen dadurch ganz andere Wege in ihrer Entwicklung. Der ältere Bruder, ein Abenteurer und lebenshungriger Junge, geht ganz in seiner Liebe und Fürsorge auf. Er kommt direkt nach der Schule heim und richtet seinen ganzen Alltag nach den Bedürfnissen seines Bruders aus. Da die Situation die ganze Familie überfordert, kommt das kranke Kind letztendlich in ein Heim, das von einem Orden geführt wird. Dies empfindet die Schwester als kleine Befreiung, denn sie nimmt das Brüderchen als Räuber ihres eigentlichen Bruders war. Sie ringt stets mit ihrer Wut. Das hilflose Wesen, in dessen Schatten sie nun leben muss, trennt sie gefühlt vom Rest der Welt. Sie rebelliert und kämpft mit sich, dem Umfeld und den Situationen.

Drei Kapitel und zwei Hauptentwicklungen, die gänzlich anders mit ihren Emotionen umzugehen lernen. Die Liebe, die Wut, der Verlust  und die Scham sind die Wegbegleiter. Am Ende, im dritten Abschnitt, taucht ein weiteres Leben auf, das auch die Präsenz der ganzen Vorgeschichte zu spüren bekommt. Auch wir, die die Zeilen lesen, bleiben nie unbeteiligt. Der Text bewegt und erzeugt eine ganz enge Bindung zu den Charakteren. Der Schmerz ist spürbar und doch spendet der Roman ganz viel Hoffnung und Liebe. Ungewöhnlich ist die Perspektive. Der auktoriale Erzähler ist ein beständiger, harter und doch brüchiger, der seine Geschichte gegenüber den Emotionen fixiert. Es sind die Steine, die festgemauert einen Schutz für die Familie bilden. Steine stehen somit den empfindsamen Wesen gegenüber. Der Erzähler ist insofern bereits eine Metapher der Emotionalität. Das Lebendige steht somit dem Fixierten gegenüber. Etwas, das Schatten wirft, gibt dem Raum Tiefe und verdeutlicht die lichtvolle Szenerie. Dieser Vergleich mit dem Schatten wird im Roman auch am Anfang mit einem Gemälde verglichen. Ein Schatten, der bewusst eingesetzt wurde. Ein sehr bewegender Familienroman. Aus dem Französischen übersetzt von Sonja Finck.

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