Emmanuelle Fournier-Lorentz: „Villa Royale“

Eine Familie, die ständig unterwegs ist und, wie sich später zeigt, sogar auf der Flucht lebt. Wir lernen sie auch gleich auf der Straße kennen. Immer in der kalten Jahreszeit ziehen sie um. Die Mutter und Charles sitzen im Auto vorn und Victor und die Erzählerin, Palma, hinten. Victor spielt während der Fahrt Schach gegen sich selbst. Charles redet während der langen Fahrten beständig von seinen Erinnerungen an den Vater. Wirkliche Zeit für die Trauer mag nicht aufkommen, denn ständig sind sie unterwegs. Palma ist gerade elf Jahre alt als ihr Vater unerwartet stirbt. Seit dem Verlust führt sie mit ihrer Mutter und den beiden Brüdern ein unbeständiges Leben. Nie wissen sie, wohin es sie auf Geheiß der Mutter hin verschlägt.

Palma erzählt rückblickend von ihrem Leben und der Suche nach ihrem Platz in der Welt. Man hört ihr von der ersten Zeile gerne zu und verfolgt gespannt, was es mit ihrer beständigen Umtriebigkeit auf sich hat. Eine Geschichte, die auch noch einige Überraschungen bereit hält und an Spannung zunimmt. 

Das Ziel ihres ersten Umzuges erfahren sie zwei oder drei Monate nach dem Tod ihres Vaters. Ganz wie nebenbei berichtet die Mutter eines Abends, dass sie nach La Réunion, auf eine kleine Insel neben Madagaskar gehen. Eine Bekannte, die bereits dort lebt, hat sich auf der Insel um einen Job und ein Häuschen gekümmert. Das anfängliche Entsetzen der Kinder weicht der exotischen Kulisse. Vorerst leben die Kinder in ihrer Freiheit und können versuchen, die Trauer zu verarbeiten. Der Job reicht aber nicht wirklich aus und Palma muss auch wieder zur Schule. Gerade als sie sich damit abgefunden und Schulmaterial organisiert hat, geht es aber zurück nach Frankreich.

Immer nur für kurze Zeit bleiben sie an einem Ort. Das ganze Leben verpackt in Koffern und im Auto. Mit ihnen reist stets die Trauer und die Melancholie. Doch hat die Flucht einen Ursprung. Der verstorbene Vater hatte zwielichtige Geschäfte und enorme Schulden gemacht. Ein Gläubiger aus dem Milieu will sein Geld und setzt die Familie unter Druck. Die Geschwister schmieden einen Plan, wie sie aus der Bredouille herauskommen und deuten das Gerechtigkeitsempfinden nach eigenem Ermessen. Der kluge Victor und sein Bruder, Charles, der sich zum Glückspiel hingezogen fühlt, bilden mit ihrer Schwester eine Gemeinschaft, die durch das Abenteuer, die Trauer und den ständigen Roadtrip unzertrennlich wird. Doch kommt der Moment der Veränderung, der Trennung und Palma muss ihren Platz finden.

Ein Roman wie ein guter Roadmovie, der immer mehr an Tempo zunimmt und der Melancholie eine junge und trotzige Stimme entgegenhält. Die Erzählerin und ihre Geschwister sind nahbar und so empathisch gezeichnet, dass man gebannt ihren Werdegang verfolgt. Voller Hingabe zu den Figuren und der Geschichte wird der Roman sehr lebendig erzählt. Der Trauer steht auch ein subtiler und feiner Humor gegenüber, der der Handlung und der Entwicklung noch mehr Tiefe verleiht. Ein Roman über Familienzusammenhalt. Geprägt durch Trauer, Flucht und das Leben unterwegs. Der Debütroman von Emmanuelle Fournier-Lorentz wurde von Sula Textor aus dem Französischen übersetzt.

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