„Hallo, wie ist es denn so, gestalkt zu werden“
Der erste Roman von Judith Hermann. Die Berliner Autorin hat bereits viele Preise für Ihre großartigen Erzählungen erhalten. Diese lassen mich stets an gute Tom Waits Songs erinnern…
Nun legt Sie mit „Aller Liebe Anfang“ einen Roman vor, in dem es über die Zumutungen der Liebe, der Schutzlosigkeit und dem Ausgeliefertsein im Leben geht.
Stella trifft Jason im Flugzeug. Sie war auf einer Hochzeit und hat den Brautstrauß gefangen und begegnet nun auf der Heimreise ihrem zukünftigen Ehemann. Da Stella unter Flugangst leidet, bittet Sie um seine Nähe. Seine rauen, rohen Handwerkerhände halten während des ganzen Fluges ihre Hand und geben ihr die gewünschte Geborgenheit. Aber auch hier bleibt er passiv, gibt nur den vermeintlichen Schutz, denn er schläft die ganze Zeit.
Als Eheleute wohnen sie mit ihrer kleinen Tochter Ava in einem einfachen Haus mit kleinem Garten im Randgebiet einer unbenannten Stadt. Stella erlebt ein einfaches, ruhiges Leben. Sie arbeitet als Pflegerin, die sehr sensibel und einfühlsam die alten Menschen betreut. Jason, der viel arbeitet und von Bau zu Bau reist, lässt seine Familie oft alleine. Diese Lücken, die auch in unausgesprochenen Bildern und Sätzen angedeutet werden, mehren sich in ihrem alltäglichen Leben.
„Träume, wie Häutungen“
Eines Tages steht, als Stella alleine zuhause ist, ein Mann vor der Tür, ein Fremder, jemand, den Stella nie zuvor gesehen hat. Er sagt, er wolle sich einfach einmal mit ihr unterhalten, mehr sagt er nicht. Stella spricht mit ihm lediglich durch die Gegensprechanlage, weißt ihn ab und will mit ihm nicht reden. Der Fremde geht, kommt aber bereits am nächsten Tag wieder. Er, der unheimliche Fremde aus der Nachbarschaft, Mister Pfister, klingelt jeden Tag, wenn sie alleine ist und hinterlegt, da sie nicht reagiert, stets etwas, einen Brief, eine CD, einen USB-Stick und ähnliche für sie persönlich gedachte Medien im Briefkasten. Halt findet Stella in Ihrer Tochter, Ava und den Gesprächen mit ihrer Freundin Clara, die ihr aus der Ferne Unterstützung sendet
„Jason geht den Waldweg runter. Die Straße ist sonntäglich. Alles bleibt zurück.“
Mister Pfister wird sie nun nicht mehr in Ruhe lassen. Was hier beginnt und sehr nachvollziehbar geschrieben ist, ist ein Albtraum, der langsam, aber unbeirrbar eskaliert.
„Mister Pfisters Blick auf mich muss so gewesen sein, denkt Stella. Und jetzt bin ich wie das Mädchen auf dem Bild, ich falle.“
In einer sehr schönen, klaren, aber auch schonungslosen Sprache und irritierenden Bildern erzählt Judith Hermann vom Rätsel des Anfangs und Fortgangs der Liebe, vom Einsturz eines sicher geglaubten Lebens. Ein Roman voll ungeheurer Schönheit und Kraft.
Pingback: Marlen Schachinger: „Martiniloben“ | leseschatz