Jennifer Clement: „Gebete für die Vermissten“

vermissten

Ein Roman, der mich mitgerissen und tief berührt hat. Ein Text, der sich wohl einreihen wird in die große Literatur, die uns, den Lesern, eine Welt erleben lässt, von der wir nur ab und zu mal kleine Schlagzeilen erhaschen und wohl bisher nicht erahnen konnten, in welche Dramen ein menschliches Schicksal verstrickt wird.

Die Autorin, Jennifer Clement, wuchs in Mexiko-Stadt auf und hat für diesen Roman über zehn Jahre lang in der mexikanischen Provinz recherchiert und führte viele Interviews mit den vom Drogenkrieg betroffenen Mädchen und Frauen. Aus diesem realistischen Potpourri schuf sie ihre Charaktere, die das Leid aller dieser Menschen, besonders das der Frauen widerspiegeln.

Es ist der schmutzige Drogenkrieg, der besonders die Frauen trifft. Ein Leben zählt nicht viel, besonders wenig das der Mädchen und der Frauen. Es sind die Drogenbosse, die besonders die hübschen Mädchen der Dörfer „ernten“ lassen und dann missbrauchen, verkaufen und sich ihrer später entledigen und sie fallen lassen, d.h. wegwerfen…

„In Mexiko ist es das Beste, wenn man ein hässliches Mädchen ist, sagte meine Mutter.“

Sobald die schwarzen Geländewagen der Drogen- und Menschenhändler kommen, verstecken die Mütter ihre Töchter in Erdlöchern. So wächst auch Ladydi in einem unmenschlich gewordenen Bergdorf auf. Ein Dorf ohne Männer, denn die sind in den USA auf der Suche nach Arbeit, Opfer des Drogenkrieges oder bereits längst tot.

Es ist eine trostlose, karge und harte Welt, in der verzweifelte Mütter ihre Töchter als Jungen verkleiden oder die Zähne schwärzen, wenn nicht sogar ausschlagen, damit sie, sollten sie sich nicht rechtzeitig verstecken können, unattraktiv erscheinen. Nur ab und zu kommen die Ehemänner zu Besuch oder ein neuer Lehrer, der sein soziales Jahr in dem Dorf absolvieren muß taucht in dem „gottverlassenen“ Bergdorf auf.

Ladydi, die diesen Namen nicht als Prinzessin trägt, sondern als Wappen gegen ein Patriarchat, träumt mit ihren Freundinnen von einer richtigen Zukunft und Liebe. Doch müssen sie immer wieder ihren Lebenswillen erwecken. Das Dorf liegt inmitten von Mais- und Mohnfeldern und die geschmierten Militärhubschrauber versprühen ihre giftige Ladung Paraquat kurz bevor sie die Mohnfelder erreichen genau über den Dörfern, über den Frauen und Mädchen. Oft ist dies ein Todesurteil.

Ladydis Rettung scheint ein Arbeitsangebot als Hausmädchen in Acapulco zu sein, doch ihr Cousin, selber der großen Drogenmafia zugehörig, verwickelt sie in diesen furchtbaren Überlebenskampf…

„Gebete für die Vermissten“ hat eine langhaltige Wirkung und zeigt dennoch den familiären Zusammenhalt und beschwört die Kraft auf Hoffnung in einer schrecklichen Welt.

Das Buch ist flüssig und schnell zugänglich zu lesen und hinterlässt bleibende Eindrücke. Der Roman zeigt uns eine mutige Heldin, die ein schockierendes, aber wohl realistisches Bild aller dieser Mädchen und Frauen, die Jennifer Clement interviewt hat, beschreibt.

Die Regierungsorganisation schätzt die Zahl der Entführungen im Jahr 2012 auf 105.682. Zur Anzeige werden nur wenige gebracht, 2013 waren es nur 1.446. Die Dunkelziffer liegt bei 99% und nach einer Entführung folgt Zwangsarbeit, Sexhandel und Pornografie. 70.000 Menschen kostete der Krieg gegen die Drogen das Leben.

Die unverblümte Wahrheit dieses Buches macht es so lesenswert. Kein Roman für „Heile-Welt-Leser“, aber um so wichtiger. „Gebete für die Vermissten“ wird sich bestimmt als beständiger Geheimtipp in den Regalen der Buchhändler halten.

Zum Buch

3 Kommentare

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3 Antworten zu “Jennifer Clement: „Gebete für die Vermissten“

  1. Klingt so, als müsste ich es mir sofort kaufen! 🙂 Danke für die schöne Besprechung!

  2. Du sprichst aus, was ich fühle. Lese es gerade! Die Geschichte geht wirklich sehr unter die Haut. Das Thema ist hart und dennoch gelingt Clement ein fast zarter Erzählton. Ein sehr lesenswerter Roman.

  3. Pingback: Ein Rückblick… | leseschatz

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