Angelika Klüssendorf: „April“

„Sie hat das vage Gefühl, Verantwortung für sich zu übernehmen…“

april

Vor drei Jahren war Angelika Klüssendorf für ihren Roman „Das Mädchen“ für den Deutschen Buchpreis nominiert. Ein Buch, das mich unwohlig gefesselt, aber auch begeistern konnte. Ein Roman über das Aufwachsen in der DDR. Die Mutter ist eine prügelnde und stets betrunkene Frau, daher wächst das noch namenlose Mädchen in dieser tristen Familienwelt und dem Kinderheim auf.

Der neue Roman „April“ setzt dort an, wo „Das Mädchen“ endet und ist erneut für den Buchpreis nominiert. Eine junge Frau, die sich selber den Namen April gegeben hat bezieht ihr erstes eigenes von der Jugendhilfe zugewiesenes Zimmer zur Untermiete bei einer ruppigen Alten.

Ebenso ist ihr Job, die Anstellung als Bürohilfe, vom Amt organisiert. Alles fühlt sich zunächst wie ein kleiner Schritt Richtung Freiheit an. Zwischen alten und neuen Freunden versucht sich April in den 70er Jahren in Leipzig zurechtzufinden.

„Ich war immerzu wütend als Kind, sagte sie. Ich habe vor Wut keine Luft gekriegt.“

Es gelingt der jungen Frau nicht, sich selber zu finden und auszubrechen aus dem Vorgelebten. Ebenso misslingt ihr verzweifelter Selbstmordversuch. Der darauf folgende Aufenthalt in der Psychiatrie zeigt eine depressive, verzweifelte Frau, die nur nach außen kantig und roh erscheint.

„…wäre sie bloß frei von dem Schatten ihrer Mutter.“

Erst durch die Ausreise aus der DDR beginnt sie sich selber zu erahnen und kann beginnen, Freude und Glück zuzulassen. Die ersten typisch grauen Bilder der DDR verlässt sie auf Sizilien im bunten Noto und dem wunderschönen Ort Taormina. Aber auf jedes Hoch folgt meist ein berstendes Tief…

Taormina

Foto: Hauke Harder

In einer Disco wird deutlich, warum sie sich April nennt. Sie wünscht sich den Song „April“ von Deep Purple, den letzten Song des letzten Album der Urbesetzung ( Für Fans: Die Platte ohne Namen, d.h. Deep Purple III der Mk. I Besetzung).

Musikalisch spiegelt der Song das Buch. Am Anfang klingt ein Orchester, später kommt der Progressiv-Rock, der den Hardrock der folgenden Deep Purple-Besetzung andeutet. Der Mittelteil wird von einem Kammerorchester gespielt. Wenn der letzte Song dieser Platte verklungen ist, denkt man sich leicht berauscht, desorientiert und benommen. Ebenso ist es mir mit dem Text „April“ gegangen. Ein Buch, das sich unwohlig lesen lässt. Beim Lesen sogar leichten Trübsal hervorruft

„Wer sich nicht selber helfen kann, dem kann niemanden helfen.“

Ein bewegender Roman, der eine unnahbare Protagonistin in verschiedenen alltäglichen Situationen, in der Psychiatrie, als junge Mutter und schließlich innerhalb einer kleinen Familie nach der Ausreise in die BRD, darstellt. Aprils Kampf um die Lösung zu ihrer Vergangenheit, von der Wandlung vom Mädchen zu einer jungen Frau, die lernt für sich zu empfinden und sich anzunehmen. Eine Frau, die immer im Wechsel steht. Als Jahreszeit steht der April zwischen den Extremen und macht was er will. Als Song ist es der Aufbruch zu einem neuen Stil. Als Mensch der Versuch das Wahrnehmungsvermögen zu erweitern und nicht erneut in die Welt der Literatur oder Phantasie zu flüchten.

Ein Buch das länger in mir rumoren wird und noch lange nicht verklungen ist ….

Zum Buch

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Eine Antwort zu “Angelika Klüssendorf: „April“

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