Michael Köhlmeier: „Das Mädchen mit dem Fingerhut“

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Ein Roman über ein Mädchen, das alles verloren und keine Heimat hat. Sie besitzt nur, was sie bei sich trägt und ihr größter Schatz ist ein Fingerhut, der vorerst ihre Verletzung am Finger schützen soll.
Sie und zwei Jungs leben in einer Welt, die diese Kinder scheinbar nicht will. Ein unvergessliches und sehr reales und aktuelles Buch.

Am Anfang hat das kleine Mädchen noch einen Onkel. Sie sind obdachlose Flüchtlinge irgendwo in Europa. Namen und Orte bleiben unbenannt und sind beliebig. Sie spiegeln unsere reale Gegenwart. Der Onkel lässt sie tagsüber in Geschäften und holt sie abends immer wieder ab. Da das Mädchen engelsgleich wie eine Märchenprinzessin ohne Worte und mit großen Augen durch die Welt schaut, weckt sie stets Mitgefühl, wird geduldet und bekommt zu essen. Sie kann die Landessprache nicht sprechen und verstehen. Sie mag nicht so gerne Süßes, schon gar nicht Limonade. Wenn sie das Wort „Polizei“ hört, so hat es ihr der Onkel beigebracht, soll sie so laut und lange schreien, bis ihr die Luft ausgeht und dann noch einmal.

Eines Abends kommt der Onkel aber nicht. Sie geht den Weg, den sie morgens genommen haben zurück, verirrt sich und verliert sich in der Stadt.
Sie trifft auf zwei Jungs, die genauso wie sie verlassen und in der Stadt gestrandet wirken. Sie schließt sich diesen an. Einer ist der Ältere, der sie auch versteht. Der Jüngere spricht eine andere, fremde Sprache, die aber auch der Ältere zu sprechen versteht. So beginnt ihre traurige, leidvolle Odyssee. Stets auf der Suche nach Essen und Schlafplätzen.

Woher kommt das Mädchen? Warum ist sie hier? Als sie gefragt wird, wie sie heißt, sagt sie erst, sie wüsste es nicht, dann sagt sie Yiza. Ist das ihr Name?
Diese Fragen bleiben offen und doch wird eine große Geschichte in diesem kleinen Buch erzählt. Man erfährt nichts, aber man nimmt teil an einer Episode im Leben von Menschen, die eine neue Heimat suchen. Eine Geschichte, die Mitleid und Rührung hervorruft.

Das Buch liest sich wie ein poetisches modernes Märchen. So kommen auch neben der Prinzessin, Hexen und Ritter vor. Ein wundervoller Text, der einen an die großen Werke von Dickens erinnern lässt.
Ein faszinierender Roman voller Menschlichkeit, Unmenschlichkeit und der kindlichen Kraft des Überlebens.

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3 Kommentare

Eingeordnet unter Erlesenes

3 Antworten zu “Michael Köhlmeier: „Das Mädchen mit dem Fingerhut“

  1. Lieber Hauke,
    da muss das Wetter aber sehr schlecht gewesen sein, dass Du am Wochenende nicht nur die „Ohrfeige“, sondern auch noch das Mädchen mit dem Fingerhut“ gelesen hast (und natürlich auch noch David Grossmann, aber der steht gerade nicht so auf meiner Lesebegehrlichkeitsliste…). Die beiden Romane liegen schon hier und warten sehnsüchtig aufs Gelesen-Werden. Und mit jeder Besprechung wird mein Wunsch, sofort loszulesen, noch größer. Aber: Erst die Arbeit, dann das Spiel…
    Viele Grüße, Claudia

    • Liebe Claudia,
      das Wetter war wirklich mies, aber ich habe als Buchhändler das Privileg, einige Titel vorab lesen zu dürfen. Ab heute darf erst über diese Bücher gesprochen werden.
      Am Wochenende habe ich mich aber dennoch mit vielen „Leseschätzen“ beschäftigt. Also es kommen bald noch mehr…
      Ich danke Dir und wünsche Dir viel Freude beim lesen.
      Herzliche Grüße, Hauke

  2. Pingback: Das Mädchen mit dem Fingerhut – Michael Köhlmeier – buchlese

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