Friedrich Christian Delius: „Die Liebesgeschichtenerzählerin“

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Der eigentlichen Handlung wird, wie so oft, ein Gedicht vorangestellt. Diesmal ist es sehr passend und leitet das kommende ein. Denn der neue Roman von Delius ist anspruchsvoll und sehr literarisch zu lesen. Es liest sich poetisch und verlangt aufmerksames Durchhalten, damit sich das ganze Werk im Kopf des Lesers entfalten kann. Es ist die Geschichte, der Monolog einer Frau, die für ihr kommendes literarisches Werk recherchiert. Es ist ihre Reise im Jahr 1969 von Den Haag über Amsterdam nach Frankfurt. In den Archiven und in ihrer Erinnerung sucht sie nach Liebesgeschichten aus den Zeiten der Kriege. Es ist die Geschichte ihrer Vorfahren während der napoleonischen Kriege, die ihrer Eltern und ihre eigene als deutsches Mädchen, das gegen die Nazis war.

Sie möchte die Geschichte ihrer Familie literarisch festhalten, die auch die des echten Autoren F.C. Delius, ist. Sie war auf Recherchereise und ist auf ihrer Rückreise gebannt in ihren Gefühlen und Gedanken. Sie plant die Liebesgeschichten zu verwenden, um damit einen emotionalen Bezug zur gesellschaftlichen Entwicklung und den damaligen Situationen für die kommenden Leser zu transportieren.

In Den Haag schaut sie sich in einem Museum die alten Meister an. Besonders Rembrandt. Sie nimmt sich für die Gemälde Zeit, denn bisher kannte sie die Gemälde lediglich in schwarz-weißer Abbildung eines Buches. Nun erlebt sie die Kunst persönlich und in Farbe. Genau so möchte sie auch ihr Werk verstehen, ihrer Geschichte und der ihrer Vorfahren will sie Leben einhauchen und es der Nachwelt als etwas Bleibendes, als etwas zum Nachempfinden hinterlassen.

Ihre Ururgroßmutter war eine uneheliche Tochter des niederländischen Königs und wuchs bei einer mecklenburgischen Adelsfamilie auf und deren Urenkel, der kaiserliche U-Boot Kapitän, überlistet 1918 die roten Matrosen von Kiel. Dieser U-Boot Kapitän, der seiner düsteren Seele als Volksprediger entflieht, ist Maries Vater.

Marie will diese Geschichten mit ihrer eigenen verbinden. Deutlich werden ihre Mühen, die Gedanken und die Daten für ein Kunstwerk zu bündeln. Ihr Vorspiel für ihr eigentliches Schreiben lässt uns die Liebe in Zeiten der schrecklichen Ereignisse erleben.

Durch ihren Hang zur Genauigkeit in ihrer Erzählung werden die Nazizeit, die Kriege, die Gefangenschaft und die Flucht durch die menschlichen Liebesgeschichten erlebbar. Wie gehen wir Menschen mit dem vor uns Erlebten und Gelebten um? Was nehmen wir mit und was lernen wir daraus? Die Antwort ist meist individuell und im Fluss der großen Ereignisse wird stets das eigene Schicksal beleuchtet. So auch die Geschichte von Marie, die sich während ihrer Reise als Liebesgeschichtenerzählerin fragen muss, was eigentlich aus ihrer eigenen Ehe und ihrem Mann wird?

Ein literarisch und poetisch durchdrungener Text, der uns Geschichte erlebbar und zu etwas Persönlichem macht. Ein sehr liebevoll konstruiertes Werk, das in eine schöne, feine Sprache gekleidet ist. Kein leicht zu lesendes Buch, aber durch die Aufmachung und den Satzbau kann man schnell im Werk versinken.

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