Selja Ahava: „Dinge, die vom Himmel fallen“

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Der Roman schildert stets die Sprachlosigkeit gegenüber den Augenblicken, in denen aus heiterem Himmel etwas geschieht, dass den Lebensweg oder die Sichtweise auf das Leben komplett verändert. Es sind Dinge, die in unserem Leben passieren, die das Gefühl der Sicherheit und des Gewohnten auf den Kopf stellen.

Gleich dem Vorgängerroman „Der Tag, an dem ein Wal durch London schwamm“ geht Ahava der Frage nach, wie man das verrückte, einem sich entgleitende Leben in Sprache fassen kann. Meist werden ihre Protagonisten gegenüber dem Schicksal still, verharren in einer Starre oder werden verrückt. Die Perspektive des Romans ist hauptsächlich aus der Sicht von Saara geschrieben. Am Anfang des Buches ist sie acht Jahre alt und steht dem Leben noch offener und staunender gegenüber als der verkopfte Erwachsene. Als Kind hat man das Recht, an die Welt der Märchen zu glauben und diese im Alltag zu integrieren. So ist eine Metapher im Roman, die Märchen der Gebrüder Grimm, die Saaras Mutter immer falsch zu Ende erzählte. Die Märchen sind ebenfalls voll mit Gruseltaten und unfassbaren Dingen, die ein Kind in seiner Phantasie aber nur so weit zulassen kann, wie es der heranwachsende Geist zu begreifen vermag.

Saara lebt mit ihren Eltern in Finnland in einem gerade gekauften Haus, das stark renovierungsbedürftig ist. Sie nennen ihr Heim liebevoll das Sägemehlhaus, weil im ganzen Haus Häckerling und Sägemehl von den Decken und aus den Fugen rieselt. Im Sommer will die Familie ein aus Autoreifen bestehendes Hochbeet bauen und als die Mutter den Garten betritt, fällt mitten im Sommer ein ballgroßer Eisbrocken vom Himmel und erschlägt sie. Der grässliche Anblick bleibt Saara erspart, weil der Vater sie sofort beiseite nimmt. Doch ist er es, der sein Leben lang unter diesem Bild zu leiden hat. Er wird diesen Schicksalsschlag nie richtig verarbeiten können. Saara hingegen scheint Jahre später einen Weg zu finden. So ein Eiskristall kann durch eine defekte Wasserleitung eines Flugzeuges oder ähnliches entstehen und gefriert dann im Fall und wächst kontinuierlich an. Ist es Zufall oder Schicksal? Solche Dinge, die eigentlich nicht sein dürften, bleiben ein Bestandteil in Saaras Familie. Da Pekka, der Vater, es im Sägemehlhaus nicht mehr aushält, ziehen sie zu der Tante Annu, die durch einen Lottogewinn vermögend geworden ist und sich ein großes Gutshaus gekauft hat. Aber auch Annu widerfährt unglaubliches, denn sie gewinnt erneut den Hauptgewinn beim Lottospiel. Das eigentliche Glück entpuppt sich für sie als Schock. Denn die Macht des Schicksals zweifach herauszufordern und dann auch zu bezwingen, übersteigt die Vorstellungskraft und stellt bisherige Denkmuster in Frage. Annu verfällt in einen dreieinhalbwöchigen Dornröschenschlaf. Saara beobachtet alles in kindischer Naivität und erlebt fast alles wie ein märchenhaftes Abenteuer, in dem ihr imaginärer Freund Hercule Poirot ihr zur Seite steht. Durch die Krimis angeregt, erlebt sie klare Linien und menschliche Umrisse, die auch mal verwaschen können, gleich einer gezeichneten Bodenmarkierung eines Leichenfundes.

Saaras Vater sucht Antworten im Internet und durchforscht jede Statistik über Unglücke und die daraus resultierenden Folgen. Die Tanta Annu schreibt einen schottischen Fischer an, der auch mehrfach vom Schicksal auserwählt wurde. Hamish MacKay wurde viermal vom Blitz getroffen, überlebte jedes Mal und trotzt den Naturgewalten jeden Tag aufs Neue.

Jahre später, Saara ist ein Teenager, ziehen sie zurück ins Sägemehlhaus. Doch erneut schlägt das Leben ungeplante und ungewollte Wendungen ein. Wieder ist es das Schweigen über das Unaussprechliche. Aber auch der Wille des Lebens, sich stets seinen Weg zurückzuerobern. Gleich einem Apfelbaum, der wächst wo er eigentlich keinen Halt findet, oder nicht wachsen dürfte…

Ein wunderbares Buch über die Dinge, die uns jederzeit zustoßen können, die Ohnmacht gegenüber dem Schicksal und unsere Schutzlosigkeit. An jeder Ecke kann das Unerwartete unser Leben beenden oder verändern. Wie geht man mit diesen Momenten um und wie lernen wir, diese zu begreifen und dann auch wieder loszulassen? Kann die Zeit alle Wunden heilen? Diesen Fragen geht Ahava in ihrem Neuen Werk nach, das erneut von Stefan Moster übersetzt wurde, und schreibt voller Hingabe zu ihren Charakteren und baut eine Handlung auf, die einen vieles überdenken lässt.

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