„Kieler Matrosenzwinkern“
Harry Martinson wurde 1904 in Schweden geboren. Er wuchs in Jämshög in Bleckinge auf. Sein Vater, ein ehemaliger Kapitän und mittelloser Händler, verstarb als Harry sechs Jahre alt war und seine Mutter wanderte ohne die Kinder nach Kalifornien aus. Er und seine Geschwister wurden „Gemeindekinder“ und reihum in Bauernhöfen einquartiert. Mit 16 Jahren heuerte Harry Martinson als Matrose an. 1927 kehrte er lungenkrank heim und veröffentlichte seine Gedichte und Texte. Er hatte mit seiner Lyrik und besonders mit seinen Reiseeindrücken große Erfolge. Er heiratete und wurde in Stockholm sesshaft, doch blieb in ihm eine beständige Unruhe und Neugier auf die Welt. Er war eine „Nomadenseele“ und begab sich immer wieder auf Erkundungen. 1974 erhielt er mit Eyvind Johnson den Nobelpreis für Literatur. Während eines Krankenaufenthaltes beging Harry Martinson Selbstmord.
Das vorliegende Buch ist eine Neuausgabe und beinhaltet wie im Original die beiden Werke „Reisen ohne Ziel“ und „Cape Farewell!“. Der Text wurde neuübersetzt und durchgesehen. Somit liegt erstmalig eine komplette Ausgabe vor, denn die damalige deutsche Ausgabe war gekürzt. Diese beiden Reisebücher sind ein literarisches Zeitdokument und nehmen uns mit zu fernen Ländern, durch diverse Seestraßen, Ozeane und Meere. Die Sprache wurde nicht den heutigen Gewohnheiten und Ansprüchen angepasst, sondern so belassen. Auch hat sich der Verlag, das Lektorat dafür entschieden Wörter zuzulassen, die uns heute eher abschrecken lassen. So kommt u.a. häufiger das N-Wort vor. Auch wenn Harry Martinson in bestimmten Aussagen einige Menschen in schubladenartigen Beschreibungen charakterisiert, ist seine allgemeine Menschenliebe immer in den Zeilen durchzuhören.
Durch das Buch bekommen wir einen Eindruck, was es heißt, auf See zu sein. Die romantische Vorstellung der Seefahrt, die vorrangig in der Literatur bedient wird, wird in „Reisen ohne Ziel“ durch den Realitätsbezug entkräftet. Die globale Welt war auch schon zu Zeiten der Dampfschiffe zusammengeschrumpft und die exotischen, fernen Länder kamen immer näher. Die Schiffe, auf denen Martinson anheuert, laufen die unterschiedlichsten Ziele an: u.a. Reykjavik, New York, Buenos Aires, Rio de Janeiro. Seine Reisen gehen über ruhige See, stürmische Ozeane oder durch diverse Flüsse und Kanäle. Am beeindrucktesten und am eindringlichsten wird der Text bei den Beschreibungen des Lebens auf den Dampfern, Schiffen und zum Teil überladenen Pötten. Die monotone, aber kräfteraubende Tätigkeit des Kohleschaufelns und das Befeuern der Kessel bei unmenschlicher Hitze. Das Entschlacken der Kessel und die Säuberung der Öltanks. Die harte Arbeit belohnt mit den Zielen auf unterschiedlichen Kontinenten. Martinson beobachtet und notiert sich vieles. Auf einem griechischen Schiff gerät er in seine größte Katastrophe. Das Schiff ist mit Holz beladen und gänzlich überladen. In einem aufkommenden Orkan kentert es fast und einige aus der Mannschaft bleiben auf See. Seine Reisen führen ihn auch durch den Nord-Ostsee-Kanal, doch die Route von Holtenau durch die Holsteinische Landschaft ödet ihn eher an und die Elbmündung erscheint ihm als Rettung vor dem Einerlei.
Das Buch hat seinen ganz besonderen Charme und man wundert sich, wie gerne man diesen Reisebeschreibungen, die stets literarisch sind, folgt. Man bekommt etwas Appetit auf die Welt und atmet den Duft unter Deck, bekommt ebenfalls schwielige Hände und die Lunge voller Kohle. Immer wieder richtet sich der Blick auf die Häfen und die Bewohner, die Städte und fremden Länder und ihre Kulturen. Die Prosa und Lyrik ist bodenständig, menschen- und naturverbunden.
„Uns selbst und die Welt müssen wir kennenlernen. Der Weg dahin führt durch guten Willen, guten Willen und nochmals guten Willen“.
Der Verlag Guggolz ist ein kleiner Schatzgräber und fördert viele Werke zutage, die es zu entdecken lohnt. Ich habe mir zur Angewohnheit gemacht, die jeweiligen Nachwörter stets als Vorwort zu lesen, denn diese sind lesenswert und schaffen einen guten Einblick in die Werke und ihre jeweiligen Autoren.
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