Das freie, ungezwungene Kinderlachen verstummt und den Eltern passiert wohl das schrecklichste, was man sich vorstellen kann. Ihr Umgang mit der Trauer und der Wut liest sich spannend und berührt sehr. Ein wunderschön trauriges Buch um die Frage, wie lebt man mit einem großen Verlust und wird nicht von Trauer, Wut und Schuldzuweisungen aufgezehrt.
„Es passiert, aber es passiert nicht uns, denke ich.“
Aslak und Hanne Timbereit sind beide im Literaturbetrieb tätig. Sie ist eine Schriftstellerin und er Verlagslektor. Sie haben sich, wie für Autoren und Verlagsleute üblich, auf einem Literaturseminar kennengelernt. Hanne war noch recht jung und fiel durch ihre ungezwungene, temperamentvolle Art auf. Sie hatte gerade ihren ersten Roman veröffentlicht und die Kritiker sahen in ihr eine neue, große Stimme Norwegens. Die beiden heirateten und bekamen ein Kind, Emma, das nun, fünfzehn Jahre später, neun Jahre alt ist. Doch die Ehe war bereits kurz nach der Geburt von Emma gescheitert. Sie leben getrennt, er weiterhin als Verlagsangestellter in der Stadt und sie als Autorin mehr der Natur zugewandt. Es sind Ferien und Emma, die bei Aslak ist, freut sich, nicht in die Schule zu müssen. Denn dort wird sie regelrecht gemobbt. Sie soll die Ferien bei der Mutter verbringen und da Hanne schwer beschäftigt scheint und Emma nicht abholen kann, soll Aslak sie bringen und nach dem Besuch auch wieder abholen. Es ist geplant, dass er mit ihr von Oslo in den Norden fliegt und dann gleich wieder zurück, sie also lediglich abliefert. Am Flughafen werden bereits einige Flüge gecancelt, da ein starker Sturm aufkommt. Doch ihr Flug, der mit Zwischenstopps verläuft, startet wie geplant. Der Flug verläuft unruhig und die Nervosität breitet sich nicht nur bei den Passagieren aus. Auch der Pilot und die fliegende Copilotin haben mit dem Unwetter zu kämpfen. Durch die sehr harte Landung, die eher einer Bruchlandung gleicht, stirbt Emma. Die Crew hatte den Gurt bei ihr vor dem Start geprüft, doch wird sie durch den Aufprall nach vorne geschleudert. Alle anderen überleben das Flugzeugunglück. Auch Aslak, der neben seiner Tochter sitzt.
Aslak und Hanne drohen an dieser Tragödie zu zerbrechen. Aus der erstmaligen Starre und Hilflosigkeit wird spätere Verzweiflung und Wut. Erstmals versucht das gescheiterte Paar wieder näher aneinander zu rücken und Hanne kommt nach Oslo. Doch wie leben sie nun weiter? Sie erkennen, dass die Existenz an einem dünnen Faden hängt und das Schicksal gnadenlos und unberechenbar ist. In ihrer Trauer suchen sie Schuldige. Schuldige, die ihnen und ihrer Familie das Schlimmste angetan haben. Sie wollen jemanden zur Rechenschaft ziehen und verlieren gänzlich den Halt. Hanne verrennt sich in den Schuldzuweisungen gegen das Flugpersonal. Hätte der Flug nicht aufgrund der Wetterbedingungen abgesagt werden müssen? Wurde der Kontrollgang durch die Kabine mit dem Überprüfen der Sicherheitsgurte korrekt durchgeführt? Hanne beginnt, die Pilotin auszuspionieren und schreckt auch nicht davor zurück, Gewalt anzuwenden. Aslak hadert mit den Seelenqualen seiner Tochter. Er weiß, wie sehr sie in der Schule gelitten hatte und er versucht, dort die Schuldigen zu finden. Emma war dennoch immer sehr tapfer gewesen. Neben dem grauen Schulalltag musste Emma auch lernen, sich mit der Trennung der Eltern zu arrangieren. Die jetzige Suche von Aslak und Hanne nach Schuld sowie Vergeltung wird immer chaotischer, bis Aslak begreift, dass er einen Schlussstrich ziehen muss.
Ein einfühlsamer, dramatischer Roman um die Trauer, die erst durch das Zulassen können erfahrbar wird, und der zeigt, dass durch das innere Verbittern nur eine verzögerte Trauerbewältigung machbar ist. Ein Roman über ein bedrückendes, trauriges Thema. Doch versteht es Ketil Bjørnstad in seinem ihm eigenen Ton und Leichtigkeit, die Schwere etwas zu mindern. Ein schönes, trauriges Buch, das neben der Trauer leise Hoffnung und etwas Humor erklingen lässt.
Eine schöne Rezension, die neugierig macht.
Ich glaube, das muss ich lesen. Danke für diesen Tipp.
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