Christopher Ecker: „Herr Oluf in Hunsum“

„Du hättest nicht fahren dürfen!“ so beginnt der großartige Trip. Ungewöhnlich sind die Texte des Lyrikers und Autors Christopher Ecker immer. Aber auch stets ungewöhnlich gut. Im ersten Satz ist schon das Szenario festgelegt. Auffallend ist auch die Erzählperspektive. Es ist die selten verwendete Du-Perspektive, die versucht eine Nähe zum Anti-Helden aufzubauen. Steckt eventuell in uns allen etwas von Oluf?

Christopher Ecker erzählt von einem Mann, Oluf Setter, der zu einem Kongress nach Hunsum geladen ist. Hunsum und auch der Name des Protagonisten sind leichte Verrückungen der realen Namen, d.h. der Realität. Hunsum ist Husum nicht unähnlich und wohl auch nicht weit davon entfernt. Oluf, der viel von seinem Intellekt hält, ist einer der geladenen Redner. Er soll einen Vortrag über Kunst und Philosophie halten. Diese Rede hat er bereits geschrieben und übt stets den Anfang, den er mit klugem Witz zu verfeinern versucht. Zumindest den Anfang. Doch sind am Vorabend seiner Abreise an die nordische Küste seine Frau und das Kind krank. Beide haben hohes Fieber. Oluf hadert nur kurz. Soll er bei seiner Familie bleiben und seine Karriere dadurch aufs Spiel setzen? Nein, er fährt und der erste Satz des Werkes verrät, es kommt zu einem Malstrom an Missgeschicken.

Oluf ist in seinem Kopf sesshaft und steht über seinem Umfeld, den meist – aus seiner Sicht – bildungsfreien Schichten, die in Horden die Welt bevölkern und wäre es eine Völkerwanderung, wäre diese unendlich lang und könnte als beständiger Strom am Pariser Wahrzeichen vorbeimarschieren, weil sie, die Bildungsresistenten, immer mehr sich und ihre Dummheit vermehren. Oluf ist kein Mensch mit auffallend sympathischen Wesenszügen. Dennoch funktioniert er als Figur gut und man reist gerne mit ihm an die Küste. Die Reise ist bereits ein humorvoller Auftakt. Seine Versuche, seine Frau zu erreichen, sein Treffen mit einem Trucker auf einer Raststätte und letztendlich seine Ankunft in Hunsum.

Seine gegenwärtige Reise ist mit einer Erinnerung an eine Frankreich-Reise verbunden und mit einer (gedanklichen) therapeutischen Sitzung. In seinem Eheleben kriselt es und seine jetzige Abreise ist wohl auch kein großer Liebesbeweis. Als Jugendlicher war er mit Freunden nach Frankreich gefahren. Dort kam es bei einem nächtlichen Stranderlebnis zu einer Tragödie. Dies alles rumort nun in ihm während seiner Fahrt und Ankunft in Hunsum. Er ist noch nicht gewillt seine Schludrigkeiten zu erkennen. Er bildet sich immer noch viel auf sich ein. Doch beginnt er, zu reflektieren und imaginäre Gespräche zu führen, die ihn und somit uns, die Leser, in den Kern der Menschheit führen. Er macht sich beim Kongress lächerlich und es kommt noch zu weiteren Wendungen und einem überraschenden Ende. 

Christopher Ecker versteht es stets, mit einer Leichtigkeit Tiefe zu erschaffen, die aber niemals überfordert. Es sind keine philosophischen oder sonstige Vorkenntnisse nötig, um den Gedankengängen des Protagonisten folgen zu können. Es ist ein urkomischer Roman, der aber auch seine tragischen Momente hat. Spannendes, Verstörendes und Irritierendes sind natürliche Begleiterscheinungen bei den Texten von Christopher Ecker. Aber im Vordergrund steht stets die Begeisterung. Christopher Ecker schreibt einfach wunderbar, hat etwas zu sagen und kann toll erzählen. Das Surreale und Skurrile wird bei Ecker immer alltäglich und gehört zum Leben, zumindest in seine Literatur, die spätestens jetzt große und breite Aufmerksamkeit verdient.

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