Ulrike Damm: „Musik stört beim Tanzen“ & „Ich bin nicht müde, ich bin verrückt“

Ulrike Damm

Ein Wendebuch, das zwei Seiten einer stillen und persönlichen Einkehr zeigt. Das kunstvolle Buch von Ulrike Damm beinhaltet den Roman „Musik stört beim Tanzen“ und die Erzählung „Ich bin nicht müde, ich bin verrückt“. Beides unter dem Banner unpublished_1, beziehungsweise unpublished_2. Im Roman ist das Schweigen der Protagonistin selbst auferlegt, aus dem Moment heraus entstanden und für eine längere Zeit innerlich beschlossen. Die Frau in der Erzählung ist tatsächlich erkrankt und beginnt zu vergessen. Sie möchte verstehen und begreifen, bevor sie das Leben vergisst.

Beide Texte stellen die Frage, wie man es im Leben richtig macht. Gerade, wenn es genug ist und man alt wird, Bilanz zieht und müde wird. Eventuell schweigt man und lässt andere machen. Dann hätte man Zeit für sich im selbstgewählten Refugium und bleibt schweigend im Abseits. Oder man sucht sich eine Krankheit, eine die zum vorherigen Leben passend gewählt ist. Eine Krankheit bringt einen aus dem Alltäglichen heraus.

Der Roman ist aufgebaut wie ein Tagebuch. Es umfasst die Zeitspanne 09. November 2004 bis 20. August 2006. Es liest sich wie ein sehr intimer Bericht der Protagonistin. Man fühlt sich wie ein stiller und heimlicher Beobachter ihrer ganz persönlichen Gedanken und Erlebnisse. Man empfindet sich als Voyeur, der die Möglichkeit bekommen hat, die Notizen in die Hand zu nehmen und nicht mehr aufhören kann, sich in die Welt der Verfasserin zu vertiefen. Sie schreibt das Tagebuch mit Bleistift. Erst zaghaft, den Moment festhaltend, dann werden die inneren Rufe immer deutlicher. Ab und zu schreit sie die Emotionen und Gedanken fühlbar, dass die Bleistiftspitze droht abzubrechen. Die nach außen wirkende Leere und Stille ist somit gänzlich voll und zumindest nicht ruhig. Es beginnt plötzlich und unerwartet. Man hatte sich zu einem Konzert getroffen und in der Pause geht Auguste nach Hause. Als sie gefragt wird, was los sei, hat sie keine Kraft und Lust zu antworten. Die Worte bleiben ihr im Halse stecken. Die lauten Worte wurden aufgebraucht, wenn nicht sogar aufgefressen. Sie benötigt eine Auszeit der Sprache. Schnell wird die Diagnose gestellt, sie sei krank. Fast alle in ihrem Umfeld sprechen mit ihr nicht darüber. Haben somit ihr Geheimnis: Auguste ist dement. Aber sie hat auch ihr Geheimnis, sie ist es nicht. Sie schweigt und kommentiert weiterhin nichts laut und als Kranke diagnostiziert kommt sie somit ins Heim. Sie erhebt keinen Widerstand, sondern findet sich äußerlich damit ab. In ihr ist es aber selten still. Das reduzierte Leben erscheint nur als ein solches. Sie beobachtet und notiert sich einiges. Ein innerer Wandel beginnt in der beschlossenen Stille. Sie gewinnt sich selbst mehr oder weniger zurück und ihre Eigenständigkeit und Weisheiten werden immer lauter.  Das Bild, das bereits durch den Titel gegeben wird, ist passend. Das Laute um einen herum kann ablenkend sein und sogar störend. Ein Tanz entsteht aus der Interpretation und dem Gefühlten des Gehörten und ist somit ein Ausdruck des Innenlebens durch Kunst. Dies gilt auch gänzlich für dieses Werk.

Wendet man das Buch, hat man die Erzählung „Ich bin nicht müde, ich bin verrückt“ vor sich liegen. Hier ist es ein Vergessen. Man beginnt als Leser gedanklich zu rudern, denn hatte man eben die Texte von Auguste im Roman gelesen, so meint man nun eine andere Seite der Medaille zu erfassen. Hier ist es die Geschichte von Augustine, die an Alzheimer erkrankt ist. Sie beobachtet ebenfalls die Veränderungen. Der schleichende innere Wandel, der mit dem Vergessen einkehrt. Es sind ihre Erinnerungen, an denen sie versucht festzuhalten. Ihr Leben rinnt aus dem Bewusstsein und sie versucht die rinnenden Erinnerungskörner festzuhalten. Hat die Krankheit einen Bezug zu ihrem gelebten Leben? Das Sein besteht aus Momenten des Hoffens.

Zwei Texte, die zusammengebunden sind und gewendet ein Ganzes ergeben. Ein sinnliches, kluges und kunstvolles Werk. Ein literarischer Text, der voller Weisheit und intimer Beobachtungen ist. Ulrike Damm ist Künstlerin, Autorin und Verlegerin. Sie verbindet visuellen Ausdruck mit Wort-Bild und Inhalt. Das Buch ist in ihrem eigenen Verlag erschienen. Sie ist eine Archivarin diverser Kunstformen und hat es verstanden, mit „unpublished_1 und_2“:„Musik stört beim Tanzen“ und „Ich bin nicht müde, ich bin verrückt“  einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen.

Weitere Lesetipps von mir auch auf YouTube: Leseschatz-TV

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