Mirja Lanz: „Sie flogen nachts“

Dieses Buch ist lyrische Prosa und spielt mit Klang und Wortbildern. Das stimmungsvolle Erleben des Textes wächst mit den Wörtern zu den jeweiligen Abschnitten und Tageskapiteln. Zuweilen werden auch Bilder mit den Buchstaben erzeugt. Bilder wie tropfender Regen oder schmelzender Schnee. Somit ist dieses Werk ein Gesamtkunstwerk, das nicht wegen eines reinen Handlungsverlaufs gelesen werden sollte. Denn den Inhalt zu erfassen, ist in einer leidlichen Inhaltsangabe fast unmöglich, denn dieser Debütroman ist handlungsarm und doch erzählt er viel. Die Emotionen, die der Roman entfaltet, erzeugen durch das Klangbild, die Metaphorik und das Spiel mit den Begriffen und den Neuprägungen des Wortklangs einen Lesegenuß. Oft tauchen zuweilen auch finnische Vokabeln auf, die im Kontext zu verstehen sind oder erklärt werden. Die Liste der finnischen Wörter wird aber im hinteren Teil des Buches erklärt.

Wie ein sanfter Regenschauer tröpfelt die Erzählung und verbreitet eine zarte Melancholie, die in eine Schönheit fließt. Tropfen, die auf eine Wasserfläche fallen und somit immer größer Kreise auf der Oberfläche erzeugen. Doch der Blick verweilt nicht auf der Oberfläche, sondern geht durch die erzeugten Bilder immer tiefer.

Aava ist nach Finnland, woher ihre Vorfahren stammen, gekommen. Sie sucht ihre dortige Verbindung, Wurzeln und Familie. Alles ist durch den Winter gefärbt und zugedeckt. Auch sie befindet sich in einer Art des Winterschlafes. Sie zieht sich in die Hütte ihrer Tante zurück und genießt die Natur und erlebt diese in ihrer ganzen Vielfalt. Sie badet in der finnischen Sprache und erkundet die Umgebung durch Langlauf. Der Schnee, der die Klänge schluckt taut irgendwann aber auf und das Eis beginnt zu schmelzen. Etwas hat lange geschlummert und bahnt sich seinen Weg aus dem Unterbewussten. Das Unterbewusstsein und das Zugedeckte erhalten durch das Tauwetter ein Eigenleben und sprießen langsam empor, um zu wachsen. Es ist die Geschichte ihrer Familie, der sie nachgehen und nachspüren möchte. Voller Poesie und Fantasie tastet sie sich in die inneren und äußeren Räumlichkeiten. Das vorerst Unklare wird immer deutlicher und die Handlung beschreibt eine Rückkehr. Zu den Wurzeln, der Familie und der natürlichen Umgebung.

Das Buch ist ein Klangwunder und lebt von der Entschleunigung, die uns selbst beim Lesen erfasst. Ein Text, der zuweilen ungewöhnlich zu lesen ist (zum Beispiel Wortbilder, die von oben nach unten ihren Inhalt preisgeben), aber gerade dadurch eine große Faszination ausübt.

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