Warum erst jetzt? Leider habe ich jetzt erst meinen ersten Roman von Gerhard Henschel gelesen. Er galt als Geheimtipp, doch nun erreicht er ein große Leserschaft und seine Leser fiebern stets seinen neuen Romanen entgegen. Jetzt weiß ich warum, denn ich habe viel nachzuholen – wohl seine ganze Jugend, denn es ist ein autobiographisches Romanprojekt. Gleich Karl Ove Knausgård – nur irgendwie näher an mir dran und viel, viel lustiger…
„Künstlerroman“ ist ein neuer Schlosser-Roman. Der Held der Chronik, die mit „Kindheitsroman“ ihren Anfang nahm, ist Martin Schlosser, wohl das zu Papier gebrachte Ego von Gerhard Henschel. Eine Romanserie, die sich jeweils mit bestimmten Entwicklungsstufen des Protagonisten beschäftigt. Der „Künstlerroman“ lässt sich aber problemlos ohne weitere Vorkenntnisse lesen. Man muß nicht die fünf vorherigen Romane (Kindheits-, Jugend-, Abenteuer-, Liebes- und Bildungsroman) kennen. Man möchte es nach beenden der Lektüre aber ganz bestimmt und wird sich auf die bereits angekündigte und wohl fertige Fortsetzung „Arbeiterroman“ freuen.
Wir lernen im „Künstlerroman“ Martin Schlosser als einen Studenten kennen, der sich eher treiben lässt, als das er selber weiß, was er möchte. Er hat noch keinen wahren Lebensplan. Doch kristallisiert sich dieser immer mehr in ihm heraus und eines Tages wird ihm auch deutlich werden, was er wirklich möchte. Die Handlung spielt in den Jahren 1985 bis 1988. Er studiert in Berlin Germanistik. Wenn er nicht gerade über Tschernobyl, den Historikerstreit oder die Barschel-Affäre nachdenkt, setzt er sich mit seiner anspruchsvollen Freundin Andrea auseinander und übt sich in der Kunst des Lebens.
Da seine Freundin aber in Aachen studiert und sie eher eine offene Beziehung führen, die eher sie auszunutzen versteht, möchte er ihr doch näher sein, damit er auch einen Blick auf seine Nebenbuhler hat. Also immatrikuliert er sich vorerst in Köln. Schnell findet er auch eine neue Unterkunft in einer Wohngemeinschaft mit ständig schmutziger Küche und Bad. Doch seine Herausforderung ist eher Andrea, seine Freundin. Sie überredet ihn zu Bioenergetik-Seminaren und er wandelt zwischen Bhagwan, Tantra-Kursen und spiritistischen Sitzungen, um doch zu erfahren, dass er mit ihr keine gewöhnliche Zweierbeziehung haben kann.
Gerne reist Martin meist per Anhalter durch die Republik. Mal zu seinem Freund Hermann nach Göttingen mal zu Freunden nach Oldenburg oder zurück zu seinen Eltern nach Meppen. Ferner nutzt er auch seine Freizeit, um nach Paris oder nach Madrid zu reisen. Seinen Lebensunterhalt verdient er sich bei Tetra Pak, Edeka oder anderen Gelegenheitsjobs.
Man erfährt viel aus der Zeit, denn Martin liest die aktuelle Literatur und deren Kritiken in „Die Zeit“ oder dem „Spiegel“. Er hört Bob Dylan Songs und beschäftigt sich mit der Satirezeitschrift Titanic. Gleich Walter Kempowskis Tagebüchern, zu dem er Kontakt hat, baut sich aus diesen vielen netten, urkomischen, geschichtlichen und philosophischen Bausteinen seine Lebensgeschichte zusammen. Gerade der Wechsel zwischen Alltäglichem wie Bad putzen und den philosophischen Gesprächen der Protagonisten macht süchtig und unterhält auf hohem Niveau. Die sorglose Haltung Martin Schlossers auf seinem Weg zum Autor, der am Ende des Buches findet, was er möchte und seine ersten kleinen Geschichten in einem Stadtmagazin herausbringt, macht Spaß und wirkt wahrlich erlebt. Nie ist der Text überfüllt mit Erinnerungen oder Zitaten aus der Zeit, die einen ebenfalls erinnern lassen. Nie wird die Erzählung langweilig. Martin Schlosser wächst einem ans Herz und man meint ihn zu kennen, von damaligen Partys, vom Studentencafé oder man hat ihm mal als Tramper mitgenommen. Ein sympathischer Romanheld, der für mich Kult geworden ist und ich hoffe, ich finde die Zeit, um die anderen Schlosser-Romane zu verschlingen…
Pingback: Olli Jalonen: „Von Männern und Menschen“ | leseschatz